Stellungnahme zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine - Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung
Juri Andruchowytsch erhielt 2006 den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung. Im Jahr 2019 schrieb er für die Publikation "Bis der Teufel uns scheidet - 25 Jahre Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung", erschienen bei C. H. Beck, den verstörend aktuellen Text "Fast eine Generation später" (PDF 3,4 MB). Er spricht darin von der Enttäuschung gegenüber der hinhaltenden europäischen Integrationspolitik und warnt eindringlich vor dem Aggressor Putin.
Juri Andruchowytschs düsterer Text scheint wie eine Vorwegnahme dessen, was nun geschieht. Die Kuratoren des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung - die Stadt Leipzig, der Freistaat Sachsen, die Leipziger Messe GmbH und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels - verurteilen die Verletzung der Souveränität der Ukraine durch den Aggressor Russland zutiefst. Der Angriff auf die Ukraine ist ein Angriff auf die Demokratie Europas.
Juri Andruchowytschs Videobotschaft aus Iwano-Frankiwsk: "Es ist eine gemeinsame Gefahr"
Liebe Freunde! Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Stadt Leipzig,
ich bin jetzt in meiner Heimatstadt in Iwano-Frankiwsk, und ich bin in einem Raum, der heißt "Vagabundo". Das ist so ein Kulturraum, den ich zusammen mit meinen Freunden vor drei Jahren hier in diesem Keller eröffnet habe. Für die kulturellen Veranstaltungen. Und ich bin heute hier zum ersten Mal, nachdem der Krieg in der Ukraine begonnen hat.
Also das ist eine ganz neue Erfahrung, diesen Ort zu besuchen, in einem Zustand, wo hier etwas anderes passiert als nur die Kulturveranstaltungen. Obwohl ich bemerke, dass der Name "Vagabundo" ziemlich gut passt. Wir sind heutzutage ein "Vagabundo-Land", eine "Vagabundo-Region".
Wir haben viele Flüchtlinge in unserer Stadt und hier in unserem Kulturraum finden die psychologischen Trainings statt mit Kindern, die aus den bedrohten Regionen der Ukraine zu uns gekommen sind.
Ja, was haben wir hier? Keine Ausstellung im Moment. Die Verpackung. Das war die humanitäre Hilfe für die Stadt Charkiw, die wir hier zum Teil gesammelt und verpackt und dann weiter nach Charkiw geschickt haben. Die einzelnen Bilder auf der Wand.
Ich möchte sehr heute zusammen mit Ihnen in Leipzig sein. Ich bin sehr froh, dass Karl-Markus Gauß, den ich seit 26 Jahren gut kenne, dass er den Leipziger Buchpreis für die Europäische Verständigung dieses Jahr bekommt.
Ich gratuliere dir, lieber Karl-Markus, als ein ehemaliger Preisträger von 2006 möchte ich hier vielleicht eine ganz kurze Rede halten. Das ist keine Rede, nur vielleicht einige Sätze über das, was ich jetzt für wichtig ist, verstehe. Wichtig ist für uns alle.
Europa hat sich für die Ukraine heutzutage endlich geöffnet, jedenfalls an den Grenzen für Flüchtlinge, zumindest das bisher. Aber die massenhaften blau gelben Dekorationen genügen uns nicht mehr. Die totalen Stürme von Begeisterung und Empathie, das betäubende Klatschen im Stehen und die Kundgebung, das ist alles rührend und wunderbar. Aber es genügt uns nicht.
Bei uns sterben Leute, sterben Kinder. Ihre Mütter, Väter. Alte Leute und junge Leute. Die friedliche Bevölkerung unseres Landes befindet sich heute im Zentrum der Hölle. Das ist das größte Kriegsverbrechen aller Zeiten und wir sind im Zentrum von diesem Verbrechen. Unser Land stirbt, seine Städte, Brücken, Gebäude, Flughäfen, Kulturdenkmäler. Also jetzt ist viel mehr gefordert, als für uns zu beten und zu weinen. Nicht nur Güte und Gastfreundschaft, nicht nur Wärme und unterstützende Worte, sondern auch ihre furchtlose Tat.
Furchtlosigkeit ist das Stichwort. Keine Angst. Bitte keine Angst. Fürchten Sie sich nicht. Seien Sie tapfer gegen diese Gefahr. Das ist ja eine Gefahr für uns alle. Es ist eine gemeinsame Gefahr. Es ist die höchste Zeit. Nicht mal für die klare europäische Perspektive, sondern für die vollwertige Mitgliedschaft der Ukraine in der EU.
Sie brauchen uns, um viel größer, mutiger und stärker zu sein. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.