Ehemaliger Ernst-Thälmann-Hain - ein Parkbereich im Wandel
Ein Ort zum Nachdenken
Dieser Bereich im Mariannenpark hat eine wechselvolle Geschichte. Er war Wegeachse Ehrenhain und ist heute ein Denkort. Seine Funktion und Gestaltung prägten städtebauliche Planungen um 1900 und der Wandel der gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen im 20. Jahrhundert. Beim Bau der Parkanlage in den Jahren 1913 und 1914 wurde der Bereich für eine geplante Straße freigehalten und diente als Wegeverbindung. In den 1970er Jahren erhielt er eine ideologische Bedeutung durch die Umgestaltung zum Ehrenhain für den im Zweiten Weltkrieg im Konzentrationslager Buchenwald ermordeten kommunistischen Politiker Ernst Thälmann.
Der Parkbereich ist ein Zeitzeugnis für den Umgang der DDR mit der deutschen Geschichte und dem antifaschistischen Widerstand. Seine Gestaltungsweise ist typisch für die 1970er Jahre und er steht wie der gesamte Mariannenpark unter Denkmalschutz.
Nach der Friedlichen Revolution im Jahr 1989 und dem Ende der DDR wurde die Nutzung als Ehrenhain aufgegeben, Teile der einstigen Gestaltung zurückgebaut oder gingen verloren. Der Parkbereich wird seitdem vor allem wieder als Wegeverbindung genutzt.
In den vergangenen Jahren ging der Verschleiß der Wege und der baulichen Ausstattung immer mehr zu Lasten der Aufenthaltsqualität. Zudem führten die Dürre- und Hitzesommer seit 2018 zu großen Verlusten im Baumbestand. ;Ab 2019 erfolgten, begleitet durch eine Bürgerbeteiligung, die Planungen zur denkmalgerechten Sanierung und Aufwertung des ehemaligen Ehrenhains. Die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses sind in die bauliche Umsetzung 2023 und 2024 eingeflossen. Aus Denkmalschutzgründen wurde die für die 1970er Jahre charakteristische Gestaltung des ehemaligen Ehrenhains erhalten und saniert. Neue Angebote für Aufenthalt, Begegnung, Spiel und Information kamen hinzu. Zahlreiche heimische Blütengehölze und Frühblüher wurden gepflanzt. Damit werden die Aufenthaltsqualität, Nutzbarkeit, Verbindungen der einzelnen Freiräume und die ökologische Wertigkeit verbessert. Die Grundstruktur und die Eignung dieses Parkteils als „Ort zum Nachdenken“ blieben erhalten. Neue Bodenplatten mit dem Wort „Frieden“ in verschiedenen Sprachen lockern die Wegeachse optisch auf und repräsentieren die Sprachvielfalt der in Leipzig-Schönefeld lebenden Menschen. Das Wort „Frieden“ steht für das international gültige menschliche Grundbedürfnis nach einem friedlichen Zusammenleben.
Die neue Gestaltung hat sich von einer ideologischen Ausrichtung gelöst, ohne dabei geschichtsvergessen zu sein. Sie soll zum Nachdenken und einem friedlichen und respektvollen Miteinander anregen. Der ehemalige Gedenkort wird so zu einem Denkort.
Die Aufwertungsmaßnahmen der 2020er Jahre wurden mit Mitteln des Bundes, des Freistaates Sachsen sowie der Stadt Leipzig finanziert. Die Aufwertung und denkmalgerechte Sanierung des Ehemaligen Ehrenhains, die im April 2024 abgeschlossen wurde, wurde gefördert im Rahmen des Städtebauförderprogramms „Wachstum und nachhaltige Erneuerung – Aufwertungsgebiet Schönefeld“.
April 2024 – aus östlicher und westlicher Richtung zu lesende Friedensplatte in deutscher Sprache im ehemaligen Ernst-Thälmann-Hain © Amt für Stadtgrün und Gewässer Leipzig Bilder vergrößert anzeigenÜbersichtsplan Wegeachse und ehemaliger Ernst-Thälmann-Hain nach der denkmalgerechten Sanierung und Aufwertung 2023 / 2024 © Büro für LandschaftsArchitektur WEND Bilder vergrößert anzeigen
Zur Geschichte
Um 1900 begann die städtebauliche Erschließung des Areals östlich der Linden-Allee (heute Schönefelder Allee). Damals war geplant, in Verlängerung der Mittel-Straße (heute Zittauer Straße) durch das Gelände des späteren Parks eine Verbindungsstraße zwischen den neuen Wohngebieten im Osten und dem Plösner Weg im Westen (heute Rackwitzer Straße) zu bauen. Auch eine Verbindung nach Eutritzsch sollte über die Bahnanlagen hinweg entstehen.
Diese übergreifenden städtebaulichen Planungen berücksichtigte der Hamburger Gartenarchitekt Leberecht Migge (1881 - 1935) in seinem Entwurf für den öffentlichen Park in Schönefeld. Er plante für die 20 Meter breite Verbindungsstraße eine mittige Fahrbahn, beidseitige Grünstreifen und Fußwege sowie eine vierreihige Ulmenallee. An der Böschung zur „Tummelwiese“ sollte eine Hecke aus Alpen-Johannisbeeren gepflanzt werden. Beim Bau der nördlichen Parkhälfte zwischen 1913 und 1914 wurde die breite Trasse für die geplante Straße freigehalten. Sie trennte die südliche „Tummelwiese“ vom damaligen „Vereinsrasen“ und den beiden Rasentennisplätzen im Norden. Die Wegeverbindung wurde nicht als Straße ausgebaut und erhielt keine Alleebäume.
Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 kamen die Arbeiten zur Fertigstellung des Parks weitgehend zum Erliegen. Es erfolgten lediglich Vorbereitungsarbeiten für den Bau der südlichen Parkhälfte und Pflegearbeiten in den bereits angelegten Flächen im Nordteil. 1915 wurde Schönefeld zur Stadt Leipzig eingemeindet und die Parkanlage kam in die ;Zuständigkeit der Leipziger Gartenverwaltung. Nach Ende des Ersten Weltkrieges und in den politisch unruhigen Anfangsjahren der Weimarer Republik verzögerte sich die Fertigstellung des Parks durch den Mangel an Arbeitskräften, Material und finanziellen Mitteln. In dieser Zeit wurde die junge Demokratie aus verschiedenen politischen Lagern bekämpft. Während des gegen die Weimarer Republik gerichteten Kapp-Putsches kam es am 18. März 1920 bei einem Aufklärungsflug über dem Mariannenpark zum Absturz des aus Leipzig stammenden Jagdfliegers Franz Büchner (1898 - 1920), der mit den Putschisten sympathisierte.
Stadtgartendirektor Nikolaus Molzen (1881 - 1954) nahm ab 1920 die Planungen zur Fertigstellung des Parks wieder auf. In der 1924 beginnenden Phase innenpolitischer Ruhe und wirtschaftlichen Aufschwungs – den „Goldenen Zwanzigern“ – kam es auch in der südlichen Parkhälfte zu reger Bautätigkeit. Westlich des Parks entstand in den 1920er Jahren die Kleingartenanlage „An der Parthe“. Die Planung zum Bau einer Verbindungsstraße durch den nördlichen Parkteil wurde nicht weiterverfolgt. Die 1913 dafür freigehaltene Wegetrasse blieb bestehen und durch sechs Pflanzbeete als „dreiteiliger Weg“ gegliedert.
Im April 1928 war der „Volkspark Schönefeld“ fertiggestellt. Drei Jahre später erhielt er den Namen „Mariannenpark“. Zwischen 1924 und 1931 entstanden die mehrgeschossigen Wohngebäude östlich der Lindenallee. Die Wegeachse diente seitdem vor allem als Verbindung zwischen dem Wohngebiet im Osten und den nordwestlichen Parkbereichen sowie der Gartenanlage.
Nikolaus Molzen plante 1921 zu Ehren der im Ersten Weltkrieg Gefallenen eine Kriegergedächtnisstätte im südlichen Parkteil. Deren Umsetzung erfolgte nicht.
1933 übernahmen die Nationalsozialisten die Macht und hoben die seit der Weimarer Verfassung von 1919 geltende demokratische Grundordnung auf.
1934 wurde für Franz Büchner, der als Jagdflieger im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte und zu höchsten militärischen Ehren gelangt war, ein Gedenkstein unweit der Absturzstelle seines Flugzeugs im Mariannenpark am südwestlichen Ende der Wegeachse errichtet.
Während des Zweiten Weltkrieges (1939 - 1945) wurden im Mariannenpark Stellungen von Flugabwehrkanonen (Flak) eingerichtet und es kam zu Bombeneinschlägen und Zerstörungen.
In den Nachkriegsjahren – unter sowjetischer Militärverwaltung – und mit Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) im Jahr 1949 veränderten sich die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.
1946 ließ die Leipziger Stadtverwaltung den Gedenkstein für Franz Büchner aus dem Park entfernen. Ein Fundamentrest in der Böschung neben den Treppenstufen am Südwestende der Wegeachse blieb bis heute erhalten.
Im Nordosten des Parks entstand 1954 ein dreigeschossiges Gebäude für die Nutzung als Kinderwochenheim und Kindergarten. Seit den 1920er Jahren befand sich in diesem Bereich ein von hohen Hecken begrenzter großer Sandspielplatz. Einige dieser historischen Heckensträucher wuchsen seit den 1950er Jahren zu Bäumen heran. Sie bilden heute eine Reihe von Feld-Ahornen als Abschluss der Wegeachse zum Gelände der Kindertagesstätte.
1963 wurde das Landschaftsschutzgebiet „Parthenaue – Machern“ ausgewiesen und der gesamte Mariannenpark einschließlich der Parthe westlich des Parks unter Schutz gestellt.
Bis Ende der 1960er Jahre behielt der Parkbereich vor allem die Funktion einer Wegeverbindung. Die Bepflanzung der sechs Beetflächen des Wegs erfolgte in regelmäßiger Anordnung mit Stauden und Sommerblumen. In den 1970er Jahren erhielt der Parkbereich eine ideologische Bedeutung. Bei der Standortsuche für einen Hain zu Ehren Ernst Thälmanns (1886 - 1944) fiel die Wahl auf die bis dahin frei gehaltene Wegeachse. Ernst Thälmann war ein deutscher Politiker in der Weimarer Republik und von 1925 bis zu seiner Verhaftung im Jahr 1933 Vorsitzender der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Im Konzentrationslager Buchenwald wurde er 1944 ermordet. Die DDR-Führung verehrte ihn als antifaschistischen Widerstandskämpfer und Vorbild.
Die politische Massenorganisation für Kinder der Klassenstufen 1 bis 7 erhielt 1952 den Namen „Pionierorganisation Ernst Thälmann“.
Ab Juli 1972 erfolgten die Planungen zur Anlage des Ehrenhains durch eine Gruppe der „Freien Deutschen Jugend (FDJ)“ der Bauhochschule Leipzig. Realisiert wurden sie durch eine „Jugendbrigade“ aus dem Volkseigenen Betrieb „VEB Galvanotechnik". Die Eröffnung fand am 7. Oktober 1972, dem Jahrestag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik, statt.
1974 erfolgte die Befestigung der Wegeachse in einer Breite von sechs Metern und des „Appellplatzes“ mit zeittypischen großformatigen Gehwegplatten aus Waschbeton. Bereits drei Jahre später kam es wegen geringer Aufenthaltsqualität zur Umgestaltung des Ehrenhains. Birkengruppen, Beete mit überschaubaren Pflanzungen aus Laub- und Nadelgehölzen sowie Sitzbereiche werteten die Wegeachse nun auf.
Der Appellplatz erhielt im Westen und Norden Porphyrmauern, an denen Schriftzüge aus Metallbuchstaben befestigt waren. Diese erinnerten an Thälmanns Lebensdaten und mahnten, „ihn zum Vorbild zu nehmen“. Vor der nördlichen Mauer wurden eine Bronzebüste der in der DDR bekannten Bildhauerin Ruthild Hahne (1910 - 2001) auf einem Sockel aus Porphyrblöcken aufgestellt sowie Fahnenstangen und Pflanzkübel platziert und ein Rosenbeet angelegt. An der westlichen Mauer kam 1980 eine Tafel zum Andenken an junge antifaschistische Widerstandskämpfer aus Leipzig hinzu.
Der Ehrenhain mit Appellplatz, Thälmann-Büste, Betonplattenweg, Sitzbereichen, Pflanzbeeten und Baumgruppen diente als Kulisse für Vereidigungen von Soldaten der Nationalen Volksarmee der DDR, für Gelöbnisse der „Pionierorganisation Ernst Thälmann“ und für Gedenkveranstaltungen.
Nach der Friedlichen Revolution im Jahr 1989 und der Wiedervereinigung beider deutscher Staaten entfiel die ideologische Bedeutung des Ehrenhains. Natursteinsockel, Metalllettern und Gedenktafel wurden entfernt. Der Verbleib der Büste ist ungeklärt. Der ehemalige Ehrenhain wird seitdem vor allem wieder als Wegeverbindung genutzt. Seit 1991 steht der Mariannenpark als Gartendenkmal unter Schutz. Mit der denkmalgerechten Sanierung und Aufwertung 2023 / 2024 wird der ehemaliger Ehrenhain als Denkort erhalten.
Um 1927 – Situationsplan nach dem Entwurf von Nikolaus Molzen © Amt für Stadtgrün und Gewässer Leipzig, Archiv Sachgebiet Gartendenkmalpflege Bilder vergrößert anzeigen1937 – Stadtplan von Leipzig © Amt für Stadtgrün und Gewässer Leipzig, Archiv Sachgebiet Gartendenkmalpflege Bilder vergrößert anzeigen22.05.1977 – Entwurf zur Freiflächengestaltung des Ernst-Thälmann-Ehrenhains von Hubert Pokrandt. Entgegen dieser Planung wurde die Ernst-Thälmann-Büste im Norden des Appellplatzes aufgestellt. © Amt für Stadtgrün und Gewässer Leipzig, Archiv Sachgebiet Gartendenkmalpflege Bilder vergrößert anzeigen25.07.1977 – Der Plan zeigt die umgesetzte Gestaltung des Appellplatzes im Ernst‐Thälmann‐Ehrenhain. Auf Hinweis der Bildhauerin Ruthild Hahne wurde die Thälmann-Büste zur besseren Besonnung im Norden des Appellplatzes aufgestellt. Die Fahnenmasten kamen an die südliche Platzgrenze. © Amt für Stadtgrün und Gewässer Leipzig, Archiv Sachgebiet Gartendenkmalpflege Bilder vergrößert anzeigenMärz 2019 – Zustand des damaligen Appellplatzes im ehemaligen Ernst-Thälmann-Hain vor Projektbeginn © Amt für Stadtgrün und Gewässer Leipzig Bilder vergrößert anzeigenMärz 2019 – Zustand der Wegeachse im ehemaligen Ernst-Thälmann-Hain vor Projektbeginn © Stadt Leipzig / Amt für Stadtgrün und Gewässer Leipzig Bilder vergrößert anzeigen