Dumstrey-Freytag, Gertrud (geborene Freytag) - Leipziger Frauenporträts
© Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband e. V.
Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Frauenbewegung
- Soziales
geboren/ gestorben
15. Juli 1869 (Leipzig) - 11. April 1946 (Leipzig)
Zitat
"So hat sie [Gertrud Dumstrey-Freytag] in ihrer vielseitigen sozialen Tätigkeit ein lebendiges Vorbild der neuen 'Bürgerin' geboten." (Die Frau, 1929)
Kurzporträt
Gertrud Dumstrey-Freytag war die bedeutendste Vertreterin der "zweiten Generation" der bürgerlichen Frauenbewegung in Leipzig 1900 - 1933. Sie schuf und führte eine Vielzahl Leipziger Frauenvereine zur Durchsetzung von Fraueninteressen sowie Lösung sozialer und kommunalpolitischer Aufgaben.
Herkunftsfamilie
- Vater: Emil Otto Freytag (14.09.1835 Plauen i.V. - 16.11.1917 Leipzig), seit 20.02.1866 Rechtsanwalt und Notar in Leipzig; 1877-1883 erster sozialdemokratischer Abgeordneter im Königlich Sächsischen Landtag; verteidigte Linke und Demokraten in politischen Prozessen; 1901 Konkursverwalter der Leipziger Bank
- Mutter: Marie Auguste Henriette Aurelie geborene Kirsch (13.09.1847? - ? Großdeuben bei Leipzig); Heirat am 30.07.1868 in Wiesbaden
- Bruder: Eduard Freytag (? - ?), Dr. jur., Rechtsanwalt und Teilhaber in der väterlichen Anwaltskanzlei
Biografie
Laura Gertrud, am 15.07.1869 in Leipzig geboren, war die Tochter des Rechtsanwalts Emil Otto Freytag, der unter anderem 1872 im Leipziger Hochverratsprozess August Bebel, Wilhelm Liebknecht und Adolf Heppner verteidigt hatte. Sie wuchs ohne materielle Sorgen auf und übernahm vom Vater dessen Engagement für sozial Benachteiligte. Als am 26.02.1890 der Leipziger Frauenbildungsverein sein 25-jähriges Stiftungsfest mit dem Festspiel "Nacht und Morgen" von Josephine Friederici feierte, gehörte Gertrud zu den fünf jungen Laien-Darstellerinnen. Am 26.02.1891 heiratete sie Dr. Christian Friedrich Dumstrey, Leiter einer Leipziger Privatklinik. Nach der Scheidung am 27.12.1898 wandte sie sich verstärkt der Leipziger Frauenbewegung zu.
Das "Adressbuch für die Frauen Leipzigs" (1900) nennt sie als eine von sieben Anlaufstellen für Frauen, die "Auskunft in persönlichen Angelegenheiten" suchten sowie als Leiterin des "Vorlesens für Blinde" der ADF-Ortsgruppe Leipzig. Weiterhin leitete sie die ADF-Kommission für soziale Hilfsarbeit (Schwerpunkt weibliche Jugendfürsorge), war Vorstandsmitglied und 1909-1933 Vorsitzende. Sie favorisierte die Arbeit mit Petitionen auf kommunaler und Landesebene, nicht immer erfolgreich, wie z.B. die ergebnislose Petition der ADF-Ortsgruppe Leipzig an den Sächsischen Landtag vom 09.12.1909 für die Aufnahme von Frauen in die städtischen Schulausschüsse.
Ab 08.10.1904 wirkte sie im Leipziger Frauengewerbeverein als Vorsitzende und Nachfolgerin von Anna Schmidt für die Berufsausbildung von Mädchen und Frauen, dort ab 1905 in der Abteilung Hauspflege, ab 1921 in der "Öffentlichen Handelsschule mit Volksklasse" als Schulvorstandsmitglied. Sie unterstützte das Projekt "Haus der Frau" auf der BUGRA 1914.
Als stellvertretende Schatzmeisterin arbeitete sie ab 1909 im Verein "Auguste-Schmidt-Haus". Über ihre Vereinsaktivitäten berichtete sie ab 1904 im "Leipziger Tageblatt" (Rubrik "Für unsere Frauen"). Ihre Öffentlichkeitsarbeit setzte sie später als Schriftleiterin für "Die Leipziger Bürgerin. Offizielles Nachrichtenblatt des Stadtbundes Leipziger Frauenvereine" fort.
Über Leipzig hinaus wurde Gertrud Dumstrey-Freytag 1904 durch ihre Arbeit als Schatzmeisterin im ADF-Gesamtvorstand als Nachfolgerin Johanna Brandstetters bekannt. In dieser Funktion begleitete sie 1907 die ADF-Vorsitzende Helene Lange nach Bern, um letzte Formalitäten der "Ferdinand und Louise Lenz-Stiftung" zugunsten des ADF zu regeln. Auf allen Generalversammlungen des ADF bis 1925 erstattete sie die Kassenberichte.
Mit Beginn des I. Weltkrieges schlossen sich am 08.08.1914 unter ihrer Führung 62 Leipziger Frauenvereine - einschließlich der sozialdemokratischen und konfessionellen - zum Nationalen Frauendienst (NFD) Leipzig zusammen, dessen Vorsitz sie übernahm. Sitz war in der Hochschule für Frauen, Königstraße 20. Ehrenamtliche Familienfürsorge, Arbeitsvermittlung für Frauen und Mädchen, Schulungskurse und vielfältige Benefizaktionen für Kriegsinvaliden bis hin zur am 01.06.1915 eingerichteten Fruchtmusküche kennzeichneten die Arbeit des Leipziger NFD, dessen Schwerpunkte im Handbuch "Soziale Kriegs- und Friedens-Fürsorge in der Stadt Leipzig" publiziert wurden.
Trotz Kriegsentbehrungen fand das 50-jährige ADF-Jubiläum im Oktober 1915 in Verantwortung von Gertrud Dumstrey-Freytag in würdiger Form statt.
Mit Kriegsende und Novemberrevolution mussten sich auch die Leipziger Frauen neu positionieren. Den "Aufruf an die Leipziger Bürger" vom 13.11.1918 für Stabilität und gegen Alleinentscheidungen des Arbeiter- und Soldatenrates unterzeichneten neben Vertretern der Leipziger Wirtschaft, Verwaltung, Kultur und Wissenschaft nur zwei Frauen: Gertrud Dumstrey-Freytag und Leonore Zimmermann. Die Einführung des Frauenwahlrechts am 12.11.1918 hatten sie in ihrer Forderung bestärkt: "Wer nicht organisiert ist, der gilt nichts" - ebenso darin, für die "politische Aufklärung der Frauen" eine Interessenvertretung "möglichst große(r) Teile der Frauen" zu schaffen. Der hierfür gebildete "Werbeausschuss für politische Betätigung der Frauen" rief am 01.12.1918 unter Gertrud Dumstrey-Freytag, Dr. Else Beil und Dr. Herta Michel auf: "Die deutsche Frau muß wählen!" und vollzog am 02.12.1918 unter Nutzung der ehemaligen NFD-Strukturen die Gründung des "Stadtbundes Leipziger Frauenvereine" im Auguste-Schmidt-Haus. Erneut erhielt Gertrud von den Vertreterinnen der anwesenden 50 Vereine das Vertrauen als Vorsitzende. Der Stadtbund verstand sich "nicht als Partei mit bestimmter Richtung, sondern als gewaltige Frauengemeinschaft, die sich für die politische Aufklärung der Frauen" einsetzte.
Seine vielfältigen Aktivitäten (zum Beispiel Mittelstandshilfe, Einrichtung der Frauenerwerbshilfe, Maßnahmen gegen die Bordelle) verdeutlichen, dass Gertrud Dumstrey-Freytag "in das kommunalpolitische Leben Leipzigs ... durch die Führung des Stadtverbandes der Leipziger Frauenvereine vielfach eingegriffen" hat und es "keine für die Frauen wesentliche Bildungsfrage, soziale oder wirtschaftliche Angelegenheit gegeben (hat) , in der der Stadtverband nicht seine frauenpolitische Wirksamkeit eingesetzt hätte". (Die Frau, 1929).
Zudem gelang es ihr, die Britin Emily Hobhouse mit ihrem humanitären Hilfsprojekt zur Schulspeisung für unterernährte Kinder (1920 bis Mitte 1922) für Leipzig zu gewinnen. Außerdem war sie ehrenamtliche Pflegerin in der Fürsorge und Laienrichterin.
Trotz ihrer Mitwirkung im Frauenarbeitsausschuss der Demokratischen Partei/DDP seit 1918 strebte sie im Unterschied zu Dr. Else Ulich-Beil oder Anna Ackermann kein parteipolitisches Mandat an, sondern blieb ihrer überparteilichen Linie treu. 1933 unterwarf sie sich mit "ihren" Frauenorganisationen nicht der Gleichschaltung durch das Naziregime, sondern entzog sich dieser durch deren Auflösung. Als Ehrenmitglied des ADF/Staatsbürgerinnenverband-Vorstandes (seit 1929) organisierte sie dessen letzte, außerordentliche Generalversammlung am 24.09.1933 in Leipzig und wurde dort neben der Vorsitzenden Dorothee von Velsen und Dr. Else Ulich-Beil mit der Abwicklung betraut. Außerdem versuchte sie, das inflationsreduzierte Vermögen der "Ferdinand und Louise Lenz-Stiftung" in städtische Obhut zu überführen. Auch die Selbstauflösung des Landesverbandes Sächsischer Frauenvereine, dem sie neben Dr. Käthe Windscheid für Leipzig seit der Gründung am 22.11.1917 in Dresden angehörte, trug sie mit.
Gertrud Dumstrey-Freytag zog sich ins Private zurück. Bekannt ist, dass sie seltene Bücher sammelte und eine Verehrerin der Kunst Max Klingers war. Sie starb am 11.04.1946 in Leipzig.
Werke
- Politisches Handbuch für Frauen, herausgegeben vom Allgemeinen Deutschen Frauenverein (ADF), Leipzig 1909. [als Vorstandsmitglied Mitverfasserin und -herausgeberin].
- Dumstrey-Freytag, Gertrud: "Lohnender Nebenerwerb für Damen", in: Neue Bahnen (NB), Nummer 24, 15.12.1909.
- Dumstrey-Freytag, Gertrud: "Frau und Wohnung", in: Die Leipziger Bürgerin. Offizielles Nachrichtenblatt des Stadtbundes Leipziger Frauenvereine, Heft 2, 1. Jahrgang Sondernummer "Wohnungsfrage", März 1927.
- Soziale Kriegs- und Friedens-Fürsorge in der Stadt Leipzig 1915. Zusammengestellt von Hedwig Tegeler, Leipzig: Nationaler Frauendienst 1915 [in Verantwortung von Gertrud Dumstrey-Freytag].
Adressen in Leipzig
- 1869-1891: Nicolaistraße 45 III (nach Umnummerierung 1885 Nummer 17, Amtsmanns Hof)
- 1891-1898: Nürnberger Straße 11 II mit Ehemann
- 1898-1943: Nicolaistraße 17 III (Wohnung beim Bombenangriff 03./04.12.1943 zerstört)
- 1943-?: übergangsweise bei Amalie Erler, Kapitän-Haun-Straße 28 (ab 1945 wieder Rathenaustraße)
- ?-1946: Kreuzstraße 8
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Stadtarchiv Leipzig, Kapitel 35, Nummer 174 Acta den Allgemeinen deutschen Frauenverein betreffend; Nummer 347 Acta den Frauengewerbeverein zu Leipzig betreffend und Nummer 1248 Akten den Stadtbund Leipziger Frauenvereine und die Leipziger Mittelstandshilfe GmbH betreffend
- Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, 10962 Landtag des Königreiches Sachsen bis 1918. Petitionen von Frauenvereinen und -verbänden. Nummer 13709 Petition des Allg. Dt. Frauenvereins, Ortsgruppe Leipzig die Aufnahme von Frauen in die städt. Schulausschüsse betreffend
- Landesarchiv Berlin. Helene-Lange-Archiv, B. Rep. 235 - 15 - 01 Nachlass Dorothee von Velsen 1899-1938, 1960, Nummer 02 Material aus der Tätigkeit in Verbänden und Vereinen.
- Stadtarchiv Halle/ Saale, Nachlassbestand S 15. GOSC, Gosche, Agnes N 9,1 Nummer 52-53: Gertrud Dumstrey-Freytag im "Nachrichtenblatt des BDF" zum 80. Geburtstag von Helene Lange am 09.04.1928 und Bestand 526.1 FA 1363: zum Gedächtnis an Dr. Agnes Gosche, Trauerrede von Gertrud Dumstrey-Freytag.
- Otto, Louise: Das 25jährige Stiftungsfest des Frauenbildungsvereins zu Leipzig, in: Neue Bahnen. Organ des ADF, Jahrgang 1890, Heft 6, Seite 43.
- Adressbuch für die Frauen Leipzigs. Ein Verzeichnis der für sie vorhandenen Wohlfahrts- und Bildungseinrichtungen. Zusammengestellt von dem Leipziger Komitee zur Errichtung von Auskunftsstellen für Frauen, Leipzig, E. Kempe 1900.
- Leipziger Tageblatt, November und Dezember 1918.
- Die Leipziger Bürgerin. Offizielles Nachrichtenblatt des Stadtbundes Leipziger Frauenvereine, 1. Jahrgang 1927.
- "Frau Gertrud Dumstrey-Freytag", in: Leipziger Neueste Nachrichten Nummer 195 vom 14.07.1929.
- Rubrik "Zur Frauenbewegung": redaktionelle Notiz zum 60. Geburtstag von Gertrud Dumstrey-Freytag], in: Die Frau, 36. Jahrgang Heft 11, August 1929, Seite 701.
- M. Sch.: "Frau Gertrud Dumstrey-Freytag", In: Mitteilungen des ADF. Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband e.V., 2. Jahrgang Nummer 13 vom 01.04.1930.
Autor: Dr. Manfred Leyh (2020)