Hobhouse, Emily - Leipziger Frauenporträts
Emily Hobhouse, um 1920 Ilustrirte Zeitung, Leipzig, 1922, Nummer 4088 (erste Weihnachtsausgabe) Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Soziales
- Stiftungswesen
geboren/ gestorben
9. April 1860 (St. Ive, Cornwall, England) - 8. Juni 1926 (Kensington, London)
Zitat
„Es ist sehr erfreulich für mich, dass Sie meinen Namen so eng mit diesem Liebeswerk für die Kinder verbunden haben, weil ich weiss, dass selbst in ferneren Tagen ich ein wenig Anteil an der Geschichte der Stadt haben werde, zu der ich mich so hingezogen fühle…“ (Emily Hobhouse, 22.07.1922, übersetzter Brief an Leipzigs Schulstadtrat Dr. Ackermann)
Kurzporträt
Die englische Pazifistin und Frauenrechtlerin Emily Hobhouse engagierte sich nach dem Ersten Weltkrieg für die karitative Kinderhilfe. 1920-1922 warb sie vor allem in Großbritannien und Südafrika Gelder für die tägliche Schulspeisung von bis zu 11.000 unterernährten Leipziger Schulkindern ein.
Herkunftsfamilie
- Vater: Reginald Hobhouse (1818 - 27.1.1895), Archdeacon of Bodmin , (anglikanischer Rektor und verantwortlicher Pfarrer, St. Ive, Cornwall/England; einer der Söhne von Henry Hobhouse (1776 -1854), eines hohen Beamten im britischen Innenministerium).
- Mutter: Caroline Hobhouse, geb. Trelawny (1820 - 1880), Tochter des liberalen Unterhausabgeordneten für East Cornwall Sir William Salusbury-Trelawny.
- Geschwister:
- Caroline (1854-?).
- Alfred (1856-?); wanderte 1880 nach Neuseeland aus
- Blanche (1857 St. Ive-1877 Toulouse), starb an Tuberkulose.
- Maud (1858-?).
- Leonard Trelawny (St. Ive Cornwall/England 08.01.1864-21.06.1929, Alencon/Frankreich); sozialliberaler Philosoph, ab 1907 Soziologieprofessor an der London School of Economics; mit Leonard war Emily besonders verbunden.
Biografie
Die englische Pastorentochter Emily Hobhouse lebte provinziell abgeschieden bis 1895 im Elternhaus, durfte immerhin bei der Armenfürsorge in der Gemeinde helfen, aber sich nicht wie ihre Brüder weiterführende Bildung aneignen. Nach dem Tod der Eltern unterstützte sie - durch erzbischöfliche Protektion angebahnt - die anglikanische Gemeindearbeit in einer Bergarbeitersiedlung im US-Bundesstaat Minnesota. Durch eine gescheiterte Verlobung verlor sie einen Großteil ihres Erbes und kehrte 1898 nach London zurück.
Dort erfuhr sie vom Ausbruch des Britisch-Südafrikanischen Burenkrieges (1899-1902) und den furchtbaren humanitären Zuständen in von der britischen Armee für südafrikanische Frauen, Kinder und Alte eingerichteten „Concentration Camps“ und besuchte 1901 viele dieser Lager. Danach sorgte sie durch Presseartikel, Vorträge und Lobbying für öffentlichen Druck, der zur Verbesserung der Situation und Senkung der Kindersterblichkeit in den Lagern führte.
1909 beteiligte sie sich an der Gründung der aus Frauen und Männern bestehenden „The People’s Suffrage Federation“ (Ziel: Wahlrecht ohne Ansehen von Geschlecht oder Besitz) in der Hoffnung, damit schneller politische und soziale Reformen einzuführen.
Im Ersten Weltkrieg bezog Emily Hobhouse pazifistische Positionen. Sie knüpfte unter anderem Kontakte zu Frauen der neutralen und gegnerischen Staaten (unter anderem den Deutschen Dr. Alice Salomon und Lida Gustava Heymann). Vielen Briten galt sie dafür als Verräterin.
Nach Kriegsende 1918/19 konzentrierte sie sich auf die Linderung der Not hungernder Kinder, wirkte insbesondere für den „Save the Children Fund“ (gegründet 1919 in London) als Spendenwerberin in Großbritannien sowie als Beauftragte in Mitteleuropa. In Bern kam es zur Begegnung mit dem in Gautzsch/Markkleeberg bei Leipzig wohnenden Prof. Dr. Richard Woltereck (Zoologe), der zeitweilig an der Deutschen Gesandtschaft in der Schweiz Fürsorgereferent war. Er überzeugte sie von einem Besuch Mitte November 1919 in Leipzig, wo er ihr persönlich „das Elend der Leipziger Schulkinder“ aufzeigte. Prof. Woltereck kämpfte engagiert für die Auswahl Leipzigs durch internationale Hilfsorganisationen.
Im Ergebnis eines weiteren Aufenthaltes in Deutschland im Dezember 1919 mit dem Schweizer Arzt Dr. Schwyzer konstatierte Emily Hobhouse gegenüber Professor Woltereck: „Nachdem ich mich zum zweiten Male davon überzeugt habe, wie sehr nötig die Einführung von Kinderspeisungen in Leipzig ist, ersuche ich Sie … die Kinderspeisung in Gang (zu) setzen … Ich werde dann… Lebensmittel oder Bargelder… überweisen.“
Dem am 15.01.1920 dazu konstituierten Leipziger „Komitees zur Speisung unterernährter Schulkinder“ gehörten neben Schulamtsleiter Stadtrat Dr. Ackermann (Vorsitz) noch 12 Mitglieder an: unter anderem die Oberlehrerin Magdalene Focke, die Stadtverordnete Edith Mendelssohn Bartholdy sowie als erfahrene Kriegsküchenorganisatorin Ida Mansfeld. Am 22.01.1920 begann die Schulspeisungsaktion mit 225 Kindern in vier Leipziger Schulen und 100 Kindern in Gautzsch, am 16.02.1920 kamen 1.450 Schüler in sieben städtischen Schulen hinzu. Anfang Juli 1920 wurden täglich 11.120 Portionen in 34 Schulen des Leipziger Ostens ausgegeben.
Emily Hobhouse führte circa Mitte 1920 die Schulspeisungsaktion in Eigenverantwortung weiter, da die bewilligten Gelder des „Save the Children Fund“ aufgebraucht waren. Nun spendeten vor allem von ihr akquirierte südafrikanische Frauen, so dass das Projekt bis zu den Sommerferien 1922 weitergeführt werden konnte.
Der Abschlussbericht des Komitees vom 13.07.1922 belegt, dass sich der körperliche und geistige Zustand der Kinder infolge der Schulspeisung wesentlich besserte, circa 5.484.000 Essensportionen ausgegeben, mehr als 1,3 Millionen Kilogramm Lebensmittel dafür beschafft und durch 130 Eisenbahndoppelwaggons transportiert wurden. Jede verabreichte Portion entsprach 700 kcal. Die fast fleischlose Kost wie „Grüne Erbsen mit Möhren und Schichtsemmeln“, „Gerstengrütze mit Korinthen und Streuselbrot“ oder „Bouillonreis mit Franzbrot“ bildeten für diese Kinder oftmals die einzige tägliche Mahlzeit.
Emily Hobhouse besichtigte trotz zunehmender Herzschwäche persönlich Leipziger Schulen, ließ „Speisesäle“ aus ungesunden Kellerräumen verlegen, kontrollierte die Mittelverwendung und ließ sich regelmäßig berichten. Zusätzlich organisierte sie Weihnachtsgeschenke für die Kinder sowie Kleiderspenden aus England und Neuseeland.
Presseinformationen des Schulamtes würdigten das Projekt und halfen, Gedanken in Richtung Völkerverständigung anzuregen.
Viele Dankesbriefe, eine von der Stadt bei Mathieu Molitor in Auftrag gegebene Marmorbüste und ein Porzellanmedaillon Emily Hobhouse‘ sowie die Errichtung von Hobhouse-Stiftungen zeugen von ihrer Würdigung und Verehrung in Leipzig. Das Deutsche Rote Kreuz verlieh Hobhouse 1925 das „Ehrenzeichen 2. Klasse“.
Nach langer Krankheit verstarb sie in London 1926. Ihre Asche wurde in Bloemfontein am Denkmal für die südafrikanischen Frauen im Krieg 1899-1902 mit großen Ehren beigesetzt. Die Erinnerung an die Verdienste dieser Frau für die Schulkinder in Leipzig erlosch jedoch nach 1926 fast vollständig.
Werke
- The Brunt of the War and Where it Fell, London 1902
- War Without Glamour- or Women’s War Experiences written by themselves 1899 -1902. Historical records collected and translated by Emily Hobhouse , Bloemfontein (Südafrika) 1924
Adressen in Leipzig
Aufenthalte in Leipzig:
- November/Dezember 1919
- April /Mai 1920
- November 1920
- Oktober 1921
- Juli 1922
Logierorte:
- Parkhotel, Richard-Wagner-Straße (gegenüber dem Hauptbahnhof)
- Hotel Königshof, Georgiring 1
- beim Verleger und Forschungsreisenden Dr. Herrmann Meyer, Plagwitzer Straße 44 (heute Käthe-Kollwitz-Straße)
- beim Orientalisten Geheimrat Prof. August Fischer, Grassistraße 40
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- 1921 „Südafrika-Emily-Hobhouse-Stiftung“, Stiftungskapital 150.000 RM,- nach Geldentwertung durch Inflation wurde die Stiftung 1929 aufgehoben.
- 1923 „Emily-Hobhouse-Stiftung“, Stiftungskapital 250.000 RM,- nach Geldentwertung durch Inflation wurde auch diese Stiftung 1929 aufgehoben.
- 1922 Gedenkplakette des Rates der Stadt Leipzig zum Dank für die Schulspeisungsaktion für unterernährte Leipziger Kinder von Emily Hobhouse (Meissner Porzellan, limitierte Auflage; zum Teil zum Verkauf an Sammler, künstlerischer Entwurf Mathieu Molitor).
- 1923 (Oktober) Bestellung und Ankauf einer von Mathieu Molitor gefertigten 57,5 cm hohen Marmorbüste von Emily Hobhouse durch das Museum der bildenden Künste, zwischenfinanziert durch privates Engagement der Kustodin Dr. Hildegard Heyne, aufgestellt 1924 in der Stiftergalerie im Neuen Rathaus (1947 im Inventarverzeichnis des Museums aufgeführt, später verschollen; Vorlage für die Marmorbüste war die Bronzebüste, die Molitor im südafrikanischen Auftrag 1920 anfertigte).
- 1924. Am Heiligabend schrieb der Leipziger Oberbürgermeister Dr. Karl Rothe an Emily Hobhouse: „Heute sind wir mit unseren Gedanken bei Ihnen. Wir denken der Jahre, wo wir nach dem Kriege furchtbare Not litten und wo sie uns Hilfe brachten, wo sie Geld sammelten, um unsere hungernden Kinder zu speisen, wo sie denen, die unter der Not der Zeit litten, halfen. In diesen schrecklichen Jahren sind sie die Helferin und die Freundin unserer Stadt geworden.“ (Stadtarchiv Leipzig, Akte Schulamt 899, Blatt 91)
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
Akten des Leipziger Stadtarchivs:
- Schulamt: Nr. 364: Akten, die Südafrika-Emily-Hobhouse-Stiftung betreffen; Nummer 892 - 899: Akten, Komitee für Speisung unterernährter Schulkinder - Miß-Hobhouse-Hilfe in Leipzig (1919 - 1929). Nummer 903: Ehrung der Miss Hobhouse und Frau Mansfeld.
- Kapitelakten: Nr. 36, Stiftungen „H“, Nr. 97: Akten, die Emily-Hobhouse-Stiftung betreffen 1923.
Zeitgenössische Artikel in Leipziger Tageszeitungen (1920 - 1924; Auswahl):
- Eine Engländerin über die verheerenden Wirkungen der Hungerblockade auf die Kinder Leipzigs. In: Leipziger Neueste Nachrichten (im Folgenden: LNN), Nummer 11, 11. Januar 1920.
- Kinderspeisungen. In: Freie Presse (Leipzig), Nr. 86, 16. April 1920.
- Die Bespeisung von Kindern. In: Leipziger Volkszeitung (im Folgenden: LVZ), Nr. 60, 16. April 1920.
- Ein Blick in die „gottgewollte Weltordnung“. In: LVZ, Nr. 88, 21. Mai 1920, S. 6 [Bezug auf Berichte von Emily Hobhouse auf dem Kongress für Kinderhilfe in Genf: Die „augenblickliche Geißel der Kindheit ... (ist) die Tuberkulose“. In Leipzig gab es etwa 8.000 tuberkulöse Kinder].
- Speisung von 7.500 Schulkindern durch Deutschengländer. In: Leipziger Tageblatt und Handelszeitung (im Folgenden: LT), Nummer 173, 16. April 1920.
- Aus der Leipziger Schulkinder-Speisung. In: LT, Nummer 243, 28. Mai 1920, Seite 3.
- Weihnachtsbescherung in den Schulen des Ostens der Stadt. In: LT, Nummer 602, 25. Dezember 1920, 2. Beilage, Seite 9; ebenso am selben Tag in den LNN.
- Wohltäter der Menschheit [ironisch polemisierend, dass deutsche Unternehmer die „hinsiechenden Kinder ihrer Arbeiter von feindlichen Ausländern vor dem Hungertode retten“ ließen]. In: LVZ, Nummer 273, 29. Dezember 1920.
- Miß Hobhouse-Hilfe. Günstige gesundheitliche Ergebnisse der Kinderspeisungen. In: LT, Nr. 44, 27. Januar 1921, Seite 5 folgend
- Kinderspeisungen der Miß Hobouse. In: LNN, 13. Oktober 1921; ebenso am selben Tag im LT.
- Erfreuliches Ergebnis der Kinderspeisungen. In: Neue Leipziger Zeitung, 13. Oktober 1921.
- Ratsbeschlüsse. Erneutes Liebeswerk der Miß Hobhouse [über die Errichtung der Südafrika-Emily-Hobhouse-Stiftung]. In: LT, Nr.512, 19. Oktober 1921, Seite 5.
- Selbsthilfe des Mittelstandes. Ein Jahr Leipziger Mittelstandshilfe G.m.b.H. … [auf Initiative des Stadtbundes Leipziger Frauenvereine unter Gertrud Dumstrey-Freytag gegründet; erhielt unter anderem von Emily Hobhouse vermittelte Devisenspenden]. In: LNN, Nummer 313, 20. November 1923.
- Eine Wohltäterin der Leipziger Schulkinder in Amerika [sic! - in London] verstorben. In: Neue Leipziger Zeitung, Nummer 163, 15. Juni 1926.
Weitere Quellen und Literatur:
- Fry, Anna Ruth: Emily Hobhouse. A Memoir, London 1929.
- Wichert, Stefanie: Emily Hobhouse. In: Die Frau im Staat. 12. Jahrgang, 9./10. Heft 1930, Seite 10 f.
- Brits, Elsabé: Rebel Englishwoman. The Remarkable Life of Emily Hobhouse, 2nd Ed. London 2019.
- Hobhouse Balme, Jennifer: Living the Love. Emily Hobhouse post-war (1918 - 1926), Victoria, BC, Canada 2016 (eBook).
- Hartung, Birgit: Mathieu Molitor (1873 - 1929) – Ein Künstler in Leipzig nach 1900. Phil. Diss., Universität Leipzig 2015 (besonders Seite 178 folgende; 744 und 748).
- Seibold, Birgit Susanne: Emily Hobhouse und der Burenkrieg: die Konzentrationslager in Südafrika von 1899 – 1902, Stuttgart 2012.
- Dieselbe: Kluge Frauen: 80 Portraits außergewöhnlicher Frauen und ihrer Verdienste, Stuttgart 1921 (Emily Hobhouse Seite 80 folgende).
Autor: Dr. Heiner Thurm (2022)