Ludwig, Johanna Marta (geborene Seiler) - Leipziger Frauenporträts
Johanna Ludwig © Wolfgang LudwigBilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Frauenbewegung
geboren/ gestorben
26. Januar 1937 (Großkundorf, Landkreis Greiz) - 2. August 2013 (Leipzig)
Zitat
"[...] die Geschichte aller Zeiten hat es gelehrt und die heutige ganz besonders, dass diejenigen, welche selbst an ihre Rechte zu denken vergessen, auch vergessen wurden"
(ein Lieblingszitat von Johanna Ludwig, das auf Louise Otto-Peters zurückgeht)
Kurzporträt
Als Initiatorin, Mitbegründerin, langjährige Vorsitzende und zuletzt Ehrenvorsitzende der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V. Leipzig trug Johanna Ludwig entscheidend zur Wiederaneignung und Würdigung des Erbes der um Louise Otto-Peters konzentrierten ersten deutschen Frauenbewegung in Leipzig bei.
Herkunftsfamilie
- Vater: Karl Seiler (1902-1968), Bauer
- Mutter: Herta Seiler geborene Höhlein (1912-2004), Bäuerin
- Bruder: Siegfried Seiler (1934-1961, Arbeitsunfall), staatlich geprüfter Landwirt
- Schwester: Gertrud Brendel geborene Seiler (*1939), Facharbeiterin für Landwirtschaft
Biografie
Johanna Ludwig wuchs im thüringischen Vogtland auf. Mit 14 kam sie nach Greiz ins Internat, um die Erweiterte Oberschule zu besuchen. Nach dem Abitur studierte sie von 1955 bis 1959 Journalistik in Kombination mit Literatur-, Theater- und Musikgeschichte sowie Soziologie an der Universität Leipzig. 1959 erfolgte die Eheschließung mit dem Diplomjournalisten Wolfgang Ludwig. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor.
Ihr beruflicher Weg begann in lokalen Medien, so als Redakteurin von Betriebszeitungen und der Kreiszeitung "Leipziger Rundschau" sowie als Redakteurin und Reporterin beim Sender Leipzig von Radio DDR. Ihre eigentliche Erfüllung aber fand Johanna Ludwig beim Leipziger "Verlag für die Frau", in dem sie mehr als 20 Jahre, zunächst als Lektorin für Literatur zur gesellschaftlichen Stellung von Frauen in Vergangenheit und Gegenwart, später als Lektoratsleiterin und Stellvertretende Cheflektorin tätig war. Sie begeisterte sich für die Geschichte der Frauen und der Frauenemanzipation - Namen wie Olympe de Gouges, Mary Wollstonecraft, Flora Tristan, Clara Zetkin, Alexandra Kollontai waren ihr vertraut. Immer wieder stieß sie auch auf Louise Otto-Peters, über die man allerdings in Leipzig, wo sie 35 Jahre lang gelebt und zur Führerin der deutschen Frauenbewegung geworden war, vergleichsweise wenig wusste.
Mit der Umstrukturierung und dem Niedergang der Leipziger Verlagslandschaft nach der deutschen Wiedervereinigung erfolgte 1991 die "betriebsbedingte" Kündigung von Johanna Ludwig. Sie fand zwar als 54-Jährige noch einmal kurzzeitig eine Anstellung auf ABM-Basis bei der Leipziger Gesellschaft für Jugend- und Sozialforschung e. V., angesichts der schwierigen Arbeitsmarktsituation blieb ihr allerdings nur der Übergang in den Vorruhestand. Diese dramatischen Veränderungen in den persönlichen Lebensumständen, die zum großen Teil durch ein erfülltes und erfüllendes Berufsleben geprägt waren, lösten bei vielen Betroffenen Ängste und Depressionen aus. Johanna Ludwig jedoch blieb aktiv. Jetzt, da sich Frauen öffentlich mit der Situation von Frauen in der DDR und in der Bundesrepublik auseinandersetzten und Vorstellungen von einer geschlechtergerechteren Zukunft entwickelten, erwies sich das beim Verlag für die Frau erworbene Wissen als wertvoll. Johanna Ludwig verstand sofort, wie aktuell viele Forderungen und Ideen aus der Geschichte der Frauenemanzipation noch immer bzw. wieder waren und wie lohnend die Beschäftigung mit der Vergangenheit für die Gegenwart und Zukunft sein könnte. Lohnend für sich selbst - für ein sinnerfülltes eigenes Leben jenseits der Berufstätigkeit, aber lohnend auch für die Gesellschaft, die nicht auf den Schatz an vorhandenen Ideen und Erfahrungen verzichten sollte.
Warum wandte sich Johanna Ludwig gerade Louise Otto-Peters zu? Vielleicht war es deren bekannteste frauenpolitische Schrift "Das Recht der Frauen auf Erwerb" (1866), die ihr aus ihrer persönlichen Situation heraus wie ein Erbe erschien, das es anzunehmen, ja wieder anzueignen und zu nutzen galt. Der hier entwickelte Grundgedanke von Selbständigkeit und Selbsthilfe, von eigenem Willen und eigener Kraft als Dreh- und Angelpunkt aller persönlichen und gesellschaftlichen Entwicklung mag sie zutiefst beeindruckt haben. So wurde Johanna Ludwig im Januar 1993 zur Initiatorin, Mitbegründerin und langjährigen Vorsitzenden der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V. Leipzig.
In den folgenden zwei Jahrzehnten ist es ihr in herausragender Weise gelungen, dem satzungsgemäßen Zweck der Gesellschaft entsprechend, das Leben und Werk von Louise Otto-Peters in der Öffentlichkeit bekannt zu machen, zu würdigen und weiter zu erforschen. Sie initiierte Inhalte und Formen des Zusammenwirkens, die bis heute das Leben der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft bestimmen - so die jährlich stattfindenden Louise-Otto-Peters-Tage, wissenschaftliche Tagungen, literarisch-musikalische Programme, Ausstellungen, Buchvorstellungen, Vorträge, Blumen- und Kranzniederlegungen an Denkmalen, Grab- und Gedenksteinen. Auch die den Protagonistinnen der Frauenbewegung gewidmeten historischen Spaziergänge, das Eintreten für die Benennung von Straßen nach Louise Otto-Peters und ihren Mitstreiterinnen gehen auf ihre Initiative zurück. Trotz schwerer Krankheit regte Johanna Ludwig mit ihrem großen Wissen, unerschöpflichem Ideenreichtum und ihrer inneren Leidenschaft viele Menschen an, sich in die Projekte der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft einzubringen. Mit all dem leistete sie einen herausragenden Beitrag zur Wiederaneignung des Erbes der ersten deutschen Frauenbewegung in Leipzig. Zugleich bereicherte sie damit in spezifisch-feministischer Weise die Geschichtskultur der Stadt. Für sie besaßen die von Louise Otto-Peters vertretenen Forderungen nach Gleichberechtigung von Frauen und Männern, nach sozialer Gerechtigkeit sowie das von dieser postulierte Recht der Frauen auf Bildung und Erwerb immer auch eine aktuelle Dimension. So setzte sich Johanna Ludwig im Jahr 2000 leidenschaftlich gegen den sinnlosen Abriss des Henriette-Goldschmidt-Hauses in der heutigen Friedrich-Ebert-Straße ein, das der jüdische Verleger Henri Hinrichsen einst den Leipziger Frauen gestiftet hatte.
Johanna Ludwigs Wirkung geht indes über Leipzig hinaus. Das hat zum einen mit ihrem nicht hoch genug zu bewertenden Bestreben zu tun, alle Schriften von und über Louise Otto-Peters zu sammeln, zu erschließen und zugänglich zu machen, was 1997 konsequenterweise zur Gründung des Louise-Otto-Peters-Archivs führte, dem seither wichtigsten Projekt der Gesellschaft, das sich zu einem Anlaufpunkt für Wissenschaftler/-innen aus dem In- und Ausland entwickelte. Zum anderen aber wirkt Johanna Ludwig durch ihre mehr als 100 eigenen publizistischen Beiträge zum Leben und Werk von Louise Otto-Peters sowie durch die Herausgabe wichtiger Schriften (allein 33 Titel der Reihe LOUISEum) über ihre Lebenszeit hinaus.
Im Jahr 2009 trat Johanna Ludwig auf eigenen Wunsch vom Vorsitz in der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft zurück, um die noch verbleibenden Kräfte stärker für die Niederschrift ihrer langjährigen Forschungsergebnisse bündeln zu können. Kurz vor ihrem Tod gelang es Johanna Ludwig, die Arbeit am Manuskript ihrer Louise Otto-Peters-Biografie "Eigner Wille und eigne Kraft" im Wesentlichen fertigzustellen. Mit diesem Lebensbild und mit weiteren präzisen Recherchen zu unterschiedlichen Themen hat Johanna Ludwig die Louise-Otto-Peters-Forschung maßgeblich vorangebracht. Sie bleibt als eine hartnäckig, gewissenhaft und zielstrebig nach Wissen und Erkenntnis Strebende, als begeisterte und inspirierende Anregerin, als solidarisch und leidenschaftlich die Rechte von Frauen Einfordernde in Erinnerung.
Werke
- Eigner Wille und eigne Kraft. Der Lebensweg von Louise Otto-Peters bis zur Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins 1865. Nach Selbstzeugnissen und Dokumenten. Leipzig 2014.
- "... treu der Sache der Freiheit zu bleiben". Louise Otto-Peters und Robert Blum. In: Leipziger Almanach 2011/2012. Informationen. Kalendarien. Aufsätze. Redaktion Beate Berger. Leipzig 2012, Seiten 233-250.
- Louise Otto-Peters (Pseudonyme: Otto Stern, Malwine von Steinau). In: Sächsische Biografie, herausgegeben vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e. V., bearbeitet von Martina Schattkowsky. Online-Ausgabe: http://www.isgv.de/saebi/ (Zugriff am 28.03.2014).
- Louise-Otto-Peters. Jahrbuch I/2004, II/2006, III/2009. Forschungen zur Schriftstellerin, Journalistin, Publizistin und Frauenpolitikerin Louise Otto-Peters (1819-1895), herausgegeben von Johanna Ludwig, Elvira Pradel und Susanne Schötz, unter Mitarbeit von Hannelore Rothenburg. Beucha 2004, 2007, 2009.
- Das Denkmal für Louise Otto-Peters in Leipzig. Eine hundertjährige Geschichte. Johanna Ludwig und Hannelore Rothenburg, unter Mitarbeit von Elvira Pradel. Beucha 2001 [LOUISEum 15].
- Louise Otto-Peters, Schloß und Fabrik. Erste vollständige Ausgabe des 1846 zensierten Romans. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Johanna Ludwig. Leipzig 1996 [LOUISEum 3].
- Louise Otto-Peters. Ihr literarisches und publizistisches Werk. Katalog zur Ausstellung. Im Auftrag der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft herausgegeben von Johanna Ludwig und Rita Jorek. Leipzig 1995 [LOUISEum 2].
- www.louiseottopeters-gesellschaft.de
- Zitat-Quelle: Louise Otto: Offener Brief an den sächsischen Innenminister, an die Mitglieder einer Gewerbekommission und an alle Arbeiter, April 1848. In: Sturm läutet das Gewissen. Nichtproletarische Demokraten an der Seite des Fortschritts, herausgegeben von Werner Fritsch und anderen, Berlin 1980, Seiten 81-85, hier Seite 82.
- und viele mehr
Adressen in Leipzig
- 1959/1961: Georg-Schumann-Straße 31
1961/1976: Elsterstraße 33
1976/2013: Fritz-Siemon-Straße 26
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Wilhelm-Bracke-Medaille des Börsenvereins der deutschen Buchhändler zu Leipzig 1982
- Ehrenurkunde der Stadt Leipzig 2006 in Würdigung der ehrenamtlichen Tätigkeit zur Erforschung und Würdigung des Erbes der ersten deutschen Frauenbewegung um Louise Otto-Peters in Leipzig
- Ehrenvorsitzende der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V. Leipzig 2009
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Florence Hervé, Im Dienste der Frauengeschichte. Zum Tod von Johanna Ludwig, Gründerin der Leipziger Louise-Otto-Peters-Gesellschaft. In: Junge Welt, 30.08.2013, Seite 15.
- Susanne Schötz, Zum Gedenken an Johanna Ludwig (26. Januar 1937 - 2. August 2013). In: Zum Stand der biografischen Forschungen in der Frauenbewegung. Berichte vom 21. Louise-Otto-Peters-Tag 2013, herausgegeben im Auftrag der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V. Leipzig von Gerlinde Kämmerer und Susanne Schötz. Leipzig 2014, Seiten 8-10 (LOUISEum 34).
- Sowie zur Würdigung der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e. V., dessen wesentliche Initiatorin, Vorsitzende und Ehrenvorsitzende Johanna Ludwig war:
Susanne Schötz, 20 Jahre Louise-Otto-Peters-Gesellschaft in Leipzig. In: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung 2013/III, Seiten 157-168. - Susanne Schötz, Louise Otto-Peters - die 'Lerche des Völkerfrühlings' in der Erinnerungskultur des wiedervereinigten Deutschlands. In: Susanne Schötz / Martina Schattkowsky (Herausgeberin), Louise Otto-Peters und die Revolution von 1848/49. Erinnerungen an die Zukunft. Leipzig 2012, Seiten 191-215.
- Amitai Touval, The Coping Strategy of Women Members of the Former East German Intelligentsia. In: Journal of Society for the Anthropology of Europe 5:2 (2005), Seiten 13-20.
Autorin: Susanne Schötz, 2014