Rauchfuß, Hildegard Maria - Leipziger Frauenporträts
Hildegard Maria Rauchfuß, 1953 © Deutsche Fotothek Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Literatur
geboren/ gestorben
22. Februar 1918 (Breslau) - 28. Mai 2000 (Leipzig)
Zitat
"Man muss die Steine, über die man schreibt, angefasst haben!"
Kurzporträt
Hildegard Maria Rauchfuß hat Romane, Erzählungen, Gedichte, Lied- und Kabaretttexte sowie Drehbücher fürs Fernsehen geschrieben. Mehrere ihrer Bücher entstanden nach umfangreichen Recherchen vor Ort und erzählen, wie sich Frauen emanzipierten oder scheiterten. Der populäre Song "Am Fenster" der Gruppe City basiert auf ihrem Text.
Herkunftsfamilie
- Vater: Herbert Rauchfuß (1888-?), Kaiserlicher Gardeoffizier, später Kaufmann
- Mutter: Clara Rauchfuß, Hausfrau (1890-?)
Biografie
Hildegard Maria Rauchfuß war eine Grande Dame der Leipziger Literaturszene. Immer ausgesucht gekleidet und gut frisiert. Eine dunkle Brille schützte wegen eines Netzhautschadens ihre Augen. Die Zigarette hielt sie elegant in der Hand und das Asthma-Spray hatte sie griffbereit in ihrer großen Tasche. Die 1918 in Breslau Geborene hatte Stil, ein Erbteil der französisch stämmigen Mutter. Vom preußisch-deutschen Vater stammte die Disziplin. Sie besuchte in ihrer Geburtsstadt Breslau das Lyzeum, wurde jedoch kurz vor dem Abitur wegen Parteinahme für jüdische Freunde von der Schule verwiesen. Sie setzte ihre Ausbildung an einer Handelsschule fort und arbeitete während des Zweiten Weltkriegs bei einer Bank. Außerdem nahm sie Gesangsunterricht.
Als Breslau 1945 zur Festung erklärt wurde, floh sie gemeinsam mit den Eltern zuerst nach Bad Warmbrunn, und 1947 kam sie nach Leipzig. Hier war sie anfangs als Buchhalterin tätig. Der legendäre Ernst Richard, Feuilletonchef der "Leipziger Zeitung", die die SED wegen Papiermangels ausbluten ließ, hat ihr Schreibtalent entdeckt. Ab 1948 wirkte Hildegard Maria nun in der Abteilung Literatur des Mitteldeutschen Rundfunks, der ihr vier Jahre später fristlos kündigte, weil zwei ihrer Kurzgeschichten vom RIAS Berlin gesendet worden waren.
Nun wurde sie freischaffende Schriftstellerin, ermutigt von den Nachbarn, dem ehemaligen Verleger Wieland Herzfelde (1896-1988), dessen Bruder, dem Maler, Grafiker und Fotomontagekünstler John Heartfield (1891-1968) und dem Philosophen Ernst Bloch (1895-1977). Zunehmend verknüpfte die Rauchfuß ihre Texte mit eigenem Erleben. Sie fuhr nach Dresden, stand inmitten der Trümmer, sprach mit Restauratoren, saß in Baubuden, fragte, hörte zu. Der Satz: "Man muss die Steine, über die man schreibt, angefasst haben", ließ sie ein Leben lang nicht mehr los. Und ihr erster Roman "Wem die Steine Antwort geben", in dem sie über den Wiederaufbau des Dresdner Zwingers und die Situation von Nachkriegsehen schreibt, wurde 1953 ihr erster großer Erfolg. Nachdem sie sich in Kliniken und Kureinrichtungen umgeschaut hatte, schilderte sie in "Besiegte Schatten" den Kampf der Ärzte und Schwestern gegen Tuberkulose. Es folgten Gedichte, Balladen, Fernsehspiele, Texte für die "Leipziger Pfeffermühle", ehe mit dem "Schlesischen Himmelreich" (1968) ein Buch entstand, das in Ost und West gleichermaßen gelesen wurde. Die Schriftstellerin erzählt darin von faschistischem Wahn, der das Leben und Zusammenleben von Deutschen, Polen und Juden zerstört. Zwölf Jahre später versuchte sie mit "Fische auf Zweigen" daran anzuknüpfen. Sie schildert die Entwicklung einer jungen Frau aus konservativem schlesischen Milieu bis zur Übersiedlung in die neugegründete junge DDR. Das weibliche Geschlecht und seine Emanzipation standen zumeist im Mittelpunkt ihres literarischen Wirkens.
Mit Charme und Phantasie mischte sie als Ich-Erzählerin in "War ich zu taktlos, Felix?" die Leipziger Gegenwart mit der Zeit Mendelssohn Bartholdys. Und mit ihrem letzten veröffentlichten Roman "Schlußstrich" (1986) beschrieb die Autorin, wie in der DDR weggesehen wurde, wenn jemand dem Alkohol verfallen war. Nach umfassenden Recherchen zeigte sie, wie durch die Massendrogen Bier, Wein, Schnaps Persönlichkeiten und Familien zerfallen, Freunde und Nachbarn verloren gehen. Das Buch löste bei seinem Erscheinen vielfältige Diskussionen aus. Ihr Manuskript "Meine sieben Männer oder Rückseite des Feigenblattes" ist ungedruckt und befindet sich in ihrem von der Stadtbibliothek Leipzig betreuten Nachlass. Ihre Lyrik und Prosa wurde ins Mongolische, Schwedische, Russische und Ukrainische übersetzt.
Hildegard Maria Rauchfuß, seit 1950 Mitglied des DDR-Schriftstellerverbandes, ab 1975 auch des DDR-Journalistenverbandes, war eine umgängliche, manchmal sehr direkt reagierende Zeitgenossin, die hervorragend plaudern konnte und zuweilen sehr gesprächig war. Dies nutzte zwischen 1967 und 1976 auch das Ministerium für Staatssicherheit für seine Zwecke. Über diese Lebensepisode unter dem Decknamen "Bettina Schreiber" war die Schriftstellerin bis ans Ende ihrer Tage unglücklich.
Komponisten von André Asriel, Dmitri Kabalewski bis Gerd Natschinski vertonten Gedichte von ihr. Außerdem ist sie die Textautorin des City-Kult-Hits "Am Fenster" von 1977 - ein Klassiker der DDR-Rockmusik, der seit mehreren Generationen im deutschsprachigen Raum, aber auch in Großbritannien und Griechenland ein Millionenpublikum hat. 1973 erhielt sie die Johannes-R.-Becher-Medaille, 1979 den Vaterländischer Verdienstorden und 1986 den Nationalpreis der DDR.
Ihre letzte Ruhe fand Hildegard Maria Rauchfuß auf dem Leipziger Südfriedhof. Die kinderlose Autorin, die ab den siebziger Jahren mit dem Leipziger Literatur- und Kulturwissenschaftler Robert Zoppek (1919-1998) liiert war, lebt jedoch weiter in ihren Texten für die "Leipziger Pfeffermühle", die gedruckt vorliegen, und auch in Liedtexten, die Gisela May auf Schallplatten und CDs verewigt hat.
Adressen in Leipzig
- Pistorisstraße 28
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- 1963 Kunstpreis der Stadt Leipzig
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Schlesisches Himmelreich, Roman, 1968.
- Schlußstrich, Roman, 1986.
Autor: Rolf Richter, 2014