Rauschenbach, Emma (geborene Koch) - Leipziger Frauenporträts
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Rubrik
- Medizin
- Soziales
- Frauenbewegung
geboren/ gestorben
28. April 1870 Leipzig – 27. Juli 1946 Leipzig
Zitat
"Das Ideal des Berufes müssen und werden die Hebammen hochhalten, sie müssen jedoch leben können." (Emma Rauschenbach, 1931)
Kurzporträt
Emma Rauschenbach war Vorsitzende des Leipziger Hebammenvereins, des Bundes Sächsischer Hebammenvereine und des Allgemeinen Deutschen Hebammen-Verbandes, kämpfte zeitlebens für ein Reichshebammengesetz und die Verbesserung der sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Situation der Hebammen.
Herkunftsfamilie
- Vater: Friedrich August Koch (12.02.1844 Klein-Korgau/Bad Schmiedeberg - 08.09.1882 Houston/Texas), ca. 1870 Viktualienhändler und Schuhmacher in Leipzig; starb während eines Verwandtenbesuchs (Auswanderung?) in den USA an Malaria.
- Mutter: Wilhelmine Dorothee, geb. Bertram (27.12.1847 Aschersleben - 30.01.1911 Leipzig), mithelfende, dann selbständige Kleinhändlerin.
- Geschwister (bisher ermittelt):
- Carl Julius Reinhold (29.04.1874 Leipzig-?).
- Friederike Wilhelmine Mathilde (14.10.1875 Leipzig-?).
- Marie Agnes (07.02.1877 Leipzig-1954 Potsdam), Arbeiterin; verwitwete Triebler, verheiratete Zikall.
- Carl Hermann Alfred (09.09.1878 Leipzig-?), Händler. Bei ihm in der Edlichstraße 13 verstarb die Mutter Wilhelmine Dorothee Koch.
- Marie Magdalene Hedwig (01.02.1880 Leipzig-?).
- Friedrich August Otto (27.09.1882 Leipzig-?).
Biografie
Die Leipziger Universität führte im Sommersemester 2021 einen Studiengang für Hebammenkunde ein. Die Akademisierung als Verbesserung des Ausbildungsniveaus der deutschen Hebammen war bereits eine wesentliche Forderung der Leipziger Hebamme Emma Rauschenbach in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Wilhelmine Auguste Emma Koch wurde als erstes Kind einer Kleinhändlerfamilie im Leipziger Vorort Volkmarsdorf geboren. Um wirtschaftlich zu überleben, musste Emma frühzeitig mitarbeiten und konnte keine weiterführende Schule besuchen. Als sie am 16.02.1890 unehelich ihre Tochter Martha gebar, wurde ihr „Stand“ mit Fabrikarbeiterin angegeben, zur Hochzeit mit dem Kindsvater am 27.09.1890 als Näherin. Ihr Ehemann Franz Oswald Rauschenbach (04.03.1868 Nockwitz bei Delitzsch-03.06.1952 Leipzig) wirkte als Musiker am Leipziger Konservatorium, später als Musikdirektor des Stadttheater-Orchesters und Musikpädagoge.
Das Schicksal ihrer früh verwitweten, berufslosen Mutter veranlasste Emma, sich bei ihrer Berufswahl an der Familienhebamme Wilhelmine Hennig zu orientieren. Sie nahm von Juli bis Dezember 1892 am Unterrichtskurs „Hebammenkunst und Schröpfen“ an der Königlichen Hebammenlehranstalt des Trierschen Instituts der Universität Leipzig teil, absolvierte ihre Hebammenprüfung mit Bestnote „vorzüglich“, musste zunächst aber vier Jahre als Pflegerin arbeiten, bevor sie ab 28.05.1896 ihre Profession als „Bezirkshebamme“ ausüben konnte. Emma Rauschenbach betreute 1896-1923 mindestens 1.772 Entbindungen, vorwiegend aus sozial schwachen Schichten in Gohlis und Eutritzsch.
Ihr jährliches Einkommen lag anfänglich bei 950-1.100 Mark. Der enorme materielle Aufwand zur Berufsausübung (Kosten für Untersuchungszimmer, Berufskleidung und –instrumente, Fahrten, Versicherungen u.a.m.) machte ihre Forderung nach einem von den Kommunen garantierten Mindesteinkommen verständlich - auch unter dem Aspekt von Krankheit, Invalidität und Altersversorgung. Emma musste öfter krankheitsbedingt pausieren, lernte die Konkurrenz zwischen und die abwertende Haltung von Ärzten, Krankenhäusern und Fürsorgestellen gegenüber den Hebammen kennen, deren Tätigkeitsfeld lange Zeit auf „unmittelbare Geburtshilfe“ eingeschränkt wurde. Deshalb engagierte sich Emma zeitlebens aktiv in lokalen, landes- und deutschlandweiten berufsständischen Organisationen und wurde Mitglied im „Verein für geprüfte Hebammen Leipzigs und Umgebung“, im Januar 1917 dessen Vorsitzende.
Im 1909 initiierten „Bund der Hebammenvereine im Königreich Sachsen“ war sie 1. Schatzmeisterin und ab 17.06.1919 dessen Vorsitzende (nun als „Bund Sächsischer Hebammenvereine“ bezeichnet), der sich 1918 der „Vereinigung Deutscher Hebammen“ (VDH) anschloss. Zudem war sie aktiv im Verein „Mutterschutz“, „Hauspflege“ und im Stadtbund Leipziger Frauenvereine.
Für die Hebammeninteressen engagierte sie sich auch parteipolitisch und kandidierte (erfolglos) 1921 und 1923 für die DDP auf Listenplätzen 18 bzw. 25 bei der Leipziger Stadtverordnetenwahl.
Nach dem Tod der Vorsitzenden des VDH Olga Gebauer (1858-1922) formierte sich das Gros der Hebammen (ca. 18.000) unter Vorsitz von Emma Rauschenbach am 08.07.1922 in Leipzig zur „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Hebammen“, ab 1923 „Allgemeiner Deutscher Hebammen-Verband“ (ADHV).
Im November 1924 schied sie aus gesundheitlichen Gründen aus der praktischen Hebammentätigkeit aus, vertrat nun neben der Verbandstätigkeit in Leipzig und Sachsen als gewählte Funktionärin den ADHV auf allen Tagungen der Krankenkassenverbände, der „Vereinigung zur Förderung des deutschen Hebammenwesens“, der Hebammenlehrer, des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF) und zugleich als einflussreiche Referentin auf internationalen Hebammenkongressen (1925 Prag, 1928 Wien, 1932 Gent).
Vor allem in Rechts- und Sozialversicherungsfragen wurde Emma Rauschenbach zur Expertin der Hebammen. Durch kontinuierliche Petitionsarbeit erkämpfte der ADHV unter Rauschenbach z.B. ab 01.10.1929 die Einbeziehung der Hebammen in die Reichsangestelltenversicherung. Das sehnsüchtig anvisierte Reichshebammengesetz, und damit die Einbeziehung der Hebammen in die Säuglings- und Wochenfürsorge, kam jedoch trotz Unterstützung durch den BDF, das „Rote Kreuz“, die Arbeiterwohlfahrt u.a. noch nicht zustande.
Die Tragik der Protagonistinnen der Hebammenverbände bestand darin, dass erst durch die Nazidiktatur mit ihrer rigorosen Gleichschaltungspolitik und dem strikten „Führerprinzip“ die Hebammenschaft ihrem Ziel eines Reichshebammengesetzes immer näher kam und sich dafür teilweise - bewusst oder unbewusst - als Propagandistinnen faschistischer Frauenpolitik (Geburtenkontrolle, Rassenhygiene, Eugenik …) und sog. „Hüterinnen der Nation“ missbrauchen und manipulieren ließen.
Mit der Schaffung der „Reichsfachschaft deutscher Hebammen“ 1933 wurde nicht Emma Rauschenbach, sondern die Hebamme und fanatische Nationalsozialistin Nanna Conti (1881-1951) zur „Reichshebammenführerin“ ernannt. Diese duldete die beliebte, gemäßigtere Emma Rauschenbach (NSDAP-Mitglied seit Mai 1933) nominell noch einige Jahre als ihre sog. Stellvertreterin und „Landesfachschaftsleiterin“ in Sachsen, um nicht den größten und einflussreichsten Hebammenverband gegen sich aufzubringen.
Mit dem Reichshebammengesetz vom 21.12.1938 endete die kontinuierliche Demontage von Emma Rauschenbach mit ihrer Entlassung aus allen Ämtern. Außerdem verlor sie den lebenslang garantierten Vorsitz und ihr Mitentscheidungsrecht über die Vergabe von Geldern an bedürftige Hebammen der 1930 anlässlich ihres 60. Geburtstages vom Bund Sächsischer Hebammenvereine gegründeten „Emma-Rauschenbach-Stiftung“.
Jahrzehntelange Forderungen Rauschenbachs und Gebauers fanden nun zwar Eingang in das Reichshebammengesetz, z.B. die Schwangerenberatung, die Niederlassungserlaubnis, die Gewährung von Mindesteinkommen, das „Monopol auf die komplikationslose Entbindung“, wurden aber als Verdienst von Nanna Conti deklariert.
Emma Rauschenbach verstarb am 27.07.1946 in der Leipziger Universitäts-Frauenklinik an den Folgen eines Sturzes und wurde auf dem Südfriedhof bestattet; das Grab existiert nicht mehr.
Werke
- Die Forderungen der Hebammen Deutschlands. Referat der Vorsitzenden des Allg. deutsch. Heb.-Verb., gehalten am [sic!] II. Internationalen Hebammen-Kongresse in Wien, Ostern 1928. In: Hebammen-Zeitung, Wien, 43.Jahrgang, Nummer 1 vom 1.1.1929, Seite 6-8.
- Beiträge auf dem III. [sic!] Internationalem Hebammenkongreß in Gent am 1.,2. und 3. April 1932. In: Ebenda, 46. Jahrgang, Nummer 6 vom 1.6.1932, Seite 83-84; Nummer 7 vom 1.7.1932, Seite 100 – 101 und Seite 104.
- Der Stand des Hebammenwesens in Deutschland. Vortrag auf dem vierten [sic!] Internationalen Hebammenkongreß in Gent, April 1932. In: Allgemeine Deutsche Hebammen-Zeitung, Heft 13 vom 1.7.1932, Seite 207-208.
- Die Hebamme im neuen Deutschland. Über Schwangerschaft und Geburt, Osterwieck und Berlin 1934.
- Vielzahl von Fachbeiträgen, vor allem in der Allgemeinen Deutschen Hebammen-Zeitung.
Adressen in Leipzig
- 1870 - Schulgasse 2, Volkmarsdorf.
- 1878 - Louisenstraße 143, Volkmarsdorf (heute Hildegardstraße).
- 1882 - Wilhelmstraße 29, Volkmarsdorf (heute Zollikoferstraße).
- 1888 - Rabetstraße 23, Volkmarsdorf.
- 1890 - Ewaldstraße 32, Volkmarsdorf (heute Dornbergerstraße), mit Ehemann.
- 1894 - 1895 Weststraße 45 (heute Friedrich-Ebert-Straße).
- 1896 - 1905 Äußere Hallesche Straße 6 (heute Georg-Schumann-Straße).
- 1906 - 1914 Äußere Hallesche Straße 2 c, hpt. (umnummeriert laut Adressbuch 1911 in Nummer 6).
- 1915 - 1932 Montbéstraße 43, pt. (heute Trufanowstraße); mit Tochter Franziska Auguste Martha: Lehrerin für Gymnastik, Turnen und Zeichnen; verheiratet mit dem Kaufmann Albert Osterrieth, dem Mitinhaber der Rauchwarenhandlung G. Gaudig & Blum, Brühl 34; mit ihm im August 1929 in die USA ausgewandert; im Februar 1981 dort verstorben).
- 1933 - 1939 Hallische Straße 48, II.
- 1940 - 1942 Kirchplatz 8a, II.
- 1943? - 1946 Schenkendorfstraße 11.
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Stadtarchiv Leipzig: Standesamt (Geburts-, Sterbe- und Heiratsregister zur Familie Koch und Rauschenbach).
- Sächsisches Staatsarchiv. Hauptstaatsarchiv Dresden, Sächsischer Landtag 1919-1933, F 15633, Akte 88 (Petition des Bundes Sächsischer Hebammenvereine vom 04.04.1919 um Mindesteinkommen von Hebammen); Landtag 1926-1929. F 15700, Akte 1969 (Eingabe des Bundes Sächsischer Hebammen-Vereine an den Landtag vom 20.09.1927 zur Erhöhung der Ruhestandsunterstützung und Mindesteinkommen der Hebammen).
- Sächsisches Staatsarchiv. Staatsarchiv Leipzig. 20031 Polizeipräsidium Leipzig, Meldekartei, Rauschenbach, Emma PP-M-2589 und Koch, Wilhelmine PP-M-2226/1.
- Staatsarchiv Hamburg. Hamburger Passagierlisten, 1850-1934 (Bestand: 373-7 I, VIII-A1 -Auswanderungsamt-, Bd. 370, Seite 1992.).
- Bundesarchiv Berlin. R 9361-IX Kartei / 33880459 (NSDAP-Gaukartei); Sammlung BDC (Berlin Document Center) Kartei NS-Frauenschaft/Deutsches Frauenwerk und R 9361-V-9788 (Reichsschrifttumskammer Akte Emma Rauschenbach).
- Hebammen-Zeitung. Wien. Jahrgang 1916-1934.
- Leipziger Tageblatt Nummer 533 vom 30.10.1921, Seite 5. und Nummer 256 vom 28.10.1923, Seite 4 (jeweils zu Kandidaten für die Stadtverordnetenwahl, darunter Emma Rauschenbach).
- Anschluss des Allgemeinen Deutschen Hebammen-Verbandes an den BDF. In: Die Frau, Heft 12, September 1926, Seite 751.
- Allgemeine Deutsche Hebammen-Zeitung: Osterwieck, Jahrgang 1931-1933.
- Tiedemann, Kirsten: Hebammen im Dritten Reich. Über die Standesorganisation für Hebammen und ihre Berufspolitik, Frankfurt am Main 2001.
- Lisner, Wiebke: „Hüterinnen der Nation“. Hebammen im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2006.
- Sauer-Forooghi, Fariba: Emma Rauschenbach (1870-1946) – Ein Leben im Dienste des deutschen Hebammenwesens, Aachen 2004 (zugleich Leipzig, Universität Dissertation, 2003).
- Peters, Anna Katharina: Nanna Conti (1881-1951). Eine Biographie der Reichshebammenführerin, Münster 2018.
- Becker, Minou: Neuer Hebammen-Studiengang an der Uni Leipzig. In: Leipziger Volkszeitung vom 16.04.2021.
Autor: Dr. Manfred Leyh, 2021