Roßbach, Therese (geborene Sembritzki) - Leipziger Frauenporträts
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Rubrik
- Stiftungswesen
- Soziales
- Bildung/ Pädagogik
geboren/ gestorben
18. August 1861, Gut Palmnicken, Samland/ Ostpreußen (Jantary, Russische Föderation) - 24. Mai 1953, Sellin/ Rügen
Zitat
"Da ich selber kinderlos war, suchte ich mich als Frau sozial zu betätigen... Die praktische Ausbildung der weiblichen Jugend war mir bei weitem das Wichtigste." (Therese Roßbach, 1931)
Kurzporträt
Therese Roßbach schuf als Stifterin und Mitbegründerin des "Vereins Ostheim" in Leipzig Sozialwohnungen für kinderreiche Arbeiterfamilien. In Elbisbach bei Leipzig baute sie ab 1904 eine landwirtschaftliche Frauenschule, den "Arwedshof", auf und unterhielt ab 1917 eine Pension mit Säuglings- und Kinderheim in Sellin/Rügen.
Herkunftsfamilie
- Vater: Gustav Richard Adalbert Sembritzki (26.11.1827 Hinterwalde/ Mahnsfeld Kreis Königsberg, Ostpreußen, heute Russische Föderation - 03.10.1898 Berlin-Charlottenburg), Gerichtsassessor in Berlin, ab 1863 Gutsbesitzer, Stadtverordnetenvorsteher, Stifter und Ehrenbürger (1893) in Fürstenwalde, Sohn des Königlich-preußischen Domänenrats Daniel Jacob Sembritzki und dessen Ehefrau Amalia Louise Eleonore, geborene Grau. Er erwarb sich als Stifter und sozial engagierter Stadtverordnetenvorsteher hohe Anerkennung.
- Mutter: Johanna Dorothea Caroline Therese, geborene Stein (05.04.1831 Germau/ Ostpreußen - circa 1884 Berlin), einzige Tochter des Gutsbesitzers Theodor Wilhelm Gustav Stein aus Palmnicken und seiner Frau Emilie Dorothea, geborene Lobarts, aus Grünhoff; Anhängerin der Frauen- und Reformbewegung.
Biografie
Amalie Emilie Therese Sembritzki wuchs als Scheidungskind in Berlin auf. Ihre Mutter sensibilisierte sie schon früh für die Themen Frauenbewegung, Frauenstudium, Frauenwahlrecht und soziale Frauenarbeit. Bereits in den "Neuen Bahnen" des ADF vom Januar 1878 wurden beide erstmalig gewürdigt, weil sie Kleinstkinder dem Elendsleben der Großstadt entzogen. Als die Mutter 1884 starb, nahm Therese sich persönlich sechs von 14 dieser Pfleglinge zwischen zwei und acht Jahren an und zog diese auf den Familiengütern groß.
Nach ihrer Heirat mit dem verwitweten Architekten, Leipziger Baurat und Stadtrat Dr. h.c. Arwed Roßbach (24.11.1844 Plauen - 31.12.1902 Leipzig), dessen erste Ehefrau Helene Adelheid Antonie geborene Albrecht (31.12.1848 - 19.05.1887 Leipzig) sich gemeinsam mit Henriette Goldschmidt ebenfalls der Frauenbildung gewidmet hatte, nahm sie sich seiner Kinder aus erster Ehe an, während er der Vormund ihrer Pflegekinder wurde.
Die eigene Kinderlosigkeit bedingte ihr bedeutendes soziales Engagement unter anderem in der Sektion Kindergarten des "Vereins für Familien- und Volkserziehung" von Henriette Goldschmidt. Nach dem Vorbild sozialer Wohnprojekte der Engländerin Octavia Hill (1838-1912) konzipierte Therese Roßbach Ähnliches für Leipzig. Ihr Mann, der 1891 bereits für Hedwig von Holsteins Salomonstiftung Arbeiterwohnhäuser errichtet hatte, entwarf dafür Baupläne, sie stellte das Grundstück mit Bauantrag vom 01.06.1898 zur Verfügung und gemeinsam gründeten sie 1898 den "Verein Ostheim" zur Errichtung von Mietwohnungen für kinderreiche Arbeiterfamilien in Leipzig-Sellerhausen - laut Auguste Schmidt "ein Heldentum, vor dem wir uns gern beugen". Therese ermöglichte durch "die von ihr geopferten 100 000 Mark" ("Neue Bahnen", 01.08.1898) die Anschubfinanzierung in Millionenhöhe. Sie gewann Kreditgeber, so dass bis 01.10.1906 19 Doppelhäuser mit 352 Mietwohnungen für 2.057 Personen, davon 1.410 Kinder, errichtet wurden. Ehrenamtliche Hausdamen - Therese selbst bis 1905 - kassierten wöchentlich die geringe Miete und leisteten Sozialfürsorge. Zum "Ostheim" gehörten Kindergarten, Mädchenhort, Knabenhort, Volksbibliothek, Turnverein, Werkstätten für Jungen, Wäschemangel, Badestube, gestaltete Höfe und Gärten sowie das jährliche Kinderfest. Eine vereinseigene Sparkasse mit verzinslichen Einlagen wurde für die Mieter eingerichtet.
Als Arwed Roßbach 1902 starb, widmete sich Therese neben den Vorstandstätigkeiten im "Ostheim" (bis 1921), im Schiller-Verband Deutscher Frauen, im Ehrenvorstand der Hochschule für Frauen unter anderem wieder intensiv ihren Plänen: unehelichen Kleinkindern aus sozial schwachen Schichten zu einem menschenwürdigen Leben auf dem Lande zu verhelfen. Eine Studienreise nach England zum Philanthropen und Mediziner Dr. Thomas John Barnado (1845-1905) verband sie mit dem Besuch von Gartenbau-, Hauswirtschafts- und Landwirtschaftsschulen für Ladies.
Dadurch angeregt, nahm sie Kontakt zu Ida von Kortzfleisch (1850 -1915) in Reifenstein auf, der deutschen Initiatorin "wirtschaftlicher Frauenschulen auf dem Lande". Diese riet ihr, eine landwirtschaftliche Frauenschule in Sachsen zu gründen. Ein dafür passendes Gut fand Therese in Elbisbach bei Leipzig. Bereits einen Monat nach Abschluss des Kaufvertrages wurde am 01.09.1904 der Grundstein für das Schulhaus gelegt. Am 28.01.1906 begann mit neun "Töchtern und Frauen aus gehobenen Ständen" in Reformkleidung nach Dr. Lahmannschen Prinzipien der reguläre Unterricht; sie selbst hatte bis 1912 die Schulleitung inne. Das Schulgeld betrug 1.200 Mark/ Jahr. Zu Ehren ihres Mannes erhielt diese Schule den Namen "Arwedshof" (auch "Arvedshof"). Die Einrichtung war assoziiertes Mitglied des "Reifensteiner Verbandes"; "ihre 'Maiden'" arbeiteten jeweils acht Tage in Küche, Haushalt, Molkerei, Geflügelzucht und später der Gärtnerei sowie Obstverwertung. "Maid" stand für vier Tugenden der Frau: Mut, Ausdauer, Idealismus und Demut. Der "Arwedshof" entwickelte sich rasch zu einer angesehenen Ausbildungsstätte, in der auch Chemie, Physik, Gesundheitslehre, Botanik, Buchführung, Molkereitheorie, Geflügellehre und "wöchentliche Vorlesungen eines Leipziger Arztes" nicht fehlten. Die Arbeit wurde mit Medaillen und Preisen honoriert, so auf der Ausstellung "Die Frau in Haus und Beruf" (Berlin 1910). Landwirtschaftliche und Frauenvereine besuchten sehr oft diese Vorzeigeeinrichtung.
Therese Roßbachs ursprüngliches Ziel, ein Säuglings- und Kinderheim vom Ertrag des Gutes und der Schule zu unterhalten, ließ sich zunächst finanziell nicht verwirklichen. Sie übernahm am 01.04.1914 die ersten drei Säuglinge aus Leipzig. Der Krieg verhinderte den Bau des Säuglingsheims; einquartiertes Militär verschärfte die Platz- und Versorgungsprobleme. Mit Hilfe ihrer ältesten Pflegetochter erwarb sie am 01.07.1917 eine Villa mit Garten in Sellin/Rügen, um dort die Kriegszeit mit den Kleinkindern zu verbringen.
Der "Arwedshof" half zwar bei der Nahrungssicherung der "Selliner", die Inflation machte aber dessen Verkauf am 24.03.1924 an den sächsischen Landeskulturrat unumgänglich. Er wurde nach ihrem Konzept als staatliche Lehreinrichtung weitergeführt. Inzwischen setzte Therese Roßbach in ihrer Selliner Villa "Heimkehr" alles daran, die Säuglings- und Kinderpflege aufrecht zu erhalten, was jahrelang nur durch zusätzliche Vermietung an Feriengäste gelang.
In Leipzig war in der Nachkriegszeit der "Verein Ostheim" aufgelöst, das Eigentum zunächst am 12.05.1921 an das Johannishospital, am 04.03.1925 an die Stadt übertragen worden. Die Kontakte Therese Roßbachs zum "Arwedshof" wurden weniger, aber zum 25. Gründungsjubiläum 1931 hielt sie einen vielbeachteten, später publizierten Vortrag.
Nachdem sie noch bis 1950 als Eigentümerin der Villa "Heimkehr" geführt wurde, auch kreativ malte, starb sie 92-jährig verarmt als Pflegefall und wurde auf dem Selliner Friedhof bestattet.
Werke
- Erinnerungen an die Entstehung und Schicksale von Arvedshof. Erzählt zum 25jährigen Jubiläum der Frauenschule im Sommer 1931, ohne Ortsangabe 1931 von Frau Therese verwitwete Baurat Dr. Roßbach, Sellin-Rügen, Villa Heimkehr.
- Ölbild: "Die letzte deutsche Burg in Südtirol", undatiert.
Adressen in Leipzig
- ? – Herbst 1905: Albertstraße 36 (heute Riemannstraße).
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- indirekt: Ostheimstraße in Leipzig-Sellerhausen
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Stadtarchiv Leipzig, Kapitel 35, Akten Verein Ostheim.
- Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig, Bestand 20511 Rittergut Paunsdorf , Nummer 112 Drucksachen der Gemeindeverwaltung.
- Niedersächsisches Landesarchiv Bückeburg, Bestand D 21, Reifensteiner Verband für haus- und landwirtschaftliche Frauenbildung .
- Annedore Vahling, geborene Schellhorn, Die Entstehung der Landfrauenschule Arvedshof. Erlebnisbericht, [1947 - 1948 Maid im Arvedshof] Holzminden 1988.
- Briefe. Berlin, in: Neue Bahnen. Organ des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (im Folgenden: NB), 1878, Nummer 2 Seite 14.
- Reflexionen zum "Verein Ostheim" bzw. zu Therese Roßbach, in den NB Nummer 14 vom 15.7.1898, Seite 149; Nummer 15 vom 1.8.1898, Seite 159 -161; Nummer 7 vom 1.4.1899, Seite 82; Nummer 18 vom 15.9.1900, Seite 213 folgend; Nummer 16 vom 15.8.1901, Seite 203 folgend; Nummer 24 vom 15.12.1905, Seite 199.
- Fürstenwalder Zeitung vom 19.09.1899, darin: Der Beitrag "Ehrentafel" ist Therese Sembritzki als "edle Wohltäterin" gewidmet.
- Mitteilung an die Redaktion, in: Die Frauenbewegung, Jahrgang 11, Nummer 22 vom 15.11.1905, Seite 174 [Ankündigung Eröffnung der haus- und landwirtschaftlichen Frauenschule].
- Mitteilung an die Redaktion, in: Die Frau: Monatsschrift für das gesamte Frauenleben unserer Zeit, Jahrgang 13, Nummer 4 vom Januar 1906, Seite 246. [Ankündigung Eröffnung der haus- und landwirtschaftlichen Frauenschule].
- Ida von Kortzfleisch: Das Maidenbuch, Gotha 1910.
- Henriette Goldschmidt: Vom Kindergarten zur Hochschule für Frauen. Eine Denkschrift, Leipzig 1911, Seite 35.Amtliche Bekanntmachungen: Wirtschaftliche Frauenschule Arvedshof , in: Sächsische Landwirtschaftliche Zeitschrift. Amtsblatt des Landeskulturrates, Dresden, 72 (46.) Jahrgang, Nummer 22 vom 10.09.1924.
- Gottfried Senf: Therese Rossbach und der Arvedshof in Elbisbach, in: Bedeutende Frauen im Leipziger Land. Sonderheft der Heimatblätter des Bornaer Landes, herausgegeben von Heimatverein des Bornaer Landes, Borna 2010, Seite 41-49.
- Thomas Adam: Das soziale Engagement Leipziger Unternehmer - die Tradition der Wohnstiftungen, in: Unternehmer in Sachsen. Aufstieg - Krise - Untergang - Neubeginn, Leipzig, 1998, Seite 115 folgend
- Derselbe: Buying respactability. Philanthropy and Urban Society in transnational perspective, 1840s to 1930, Indiana University Press, 2009, Seite 150.
- Betina Kaun: Arwed Roßbach 1844 - 1902. Ein Architekt im Geiste Sempers. Das Gesamtwerk, Wettin-Löbejün 2011.
Für die Unterstützung u.a. der Foto-Recherche gilt Dank an Wolfgang Schwarze (Frohburg/Elbisbach), Michael Parchow (Sellin), Ralf Sternkopf (Fürstenwalde), Waltraud Lücke (Schiffdorf) und Gottfried Senf (Geithain).
Autor: Dr. Manfred Leyh (2019)