von Steyber, Ottilie - Leipziger Frauenporträts
Frl. Ottilie von Steyber, Fotografiert von Bertha Wehnert-Beckmann © Stadtgeschichtliches Museum Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Bildung/ Pädagogik
- Frauenbewegung
geboren/ gestorben
28. Juni 1804 (Luckau, Niederlausitz) - 7. April 1870 (Leipzig)
Zitat
"Voll Opferfreudigkeit und unermüdlicher Theilnahme für unsere Zwecke thätig, geliebt und hochverehrt von Allen, die ihr jemals nahe traten, durch ihr großmüthiges Wirken überall hin Segen verbreitend, hat sie das größte Anrecht auf das dankbare Andenken Aller!"
(Auguste Schmidt, Nachruf auf Ottilie von Steyber, Neue Bahnen, Nummer 9/1870, Seite 72)
Kurzporträt
Die Pädagogin und Schulvorsteherin Ottilie von Steyber war 1865 Mitbegründerin und zweite Vorsteherin des Frauenbildungsvereins sowie Mitbegründerin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins und in dessen Vorstand tätig.
Biografie
Ottilie von Steyber war die älteste Tochter einer Offiziersfamilie. Nach dem Tod des Vaters 1812 war die Mutter allein verantwortlich für die achtjährige Ottilie und die zwei kleinen Geschwister. Um ihr eine gute Ausbildung zu sichern, wurde die begabte Ottilie zu einer wohlhabenden Familie nach Wurzen gegeben. Nach dem Tod der Pflegeeltern kehrte sie nach Hause zurück und ließ sich zur Lehrerin ausbilden. Ihre Spur in Leipzig beginnt 1842. In diesem Jahr wurde sie Erzieherin im Hause des Leipziger Verlegers und Buchhändlers Friedrich Brockhaus (1800-1865), der gemeinsam mit seinem Bruder Heinrich (1804-1874) das von ihrem Vater Friedrich Arnold Brockhaus (1772-1823) gegründete erfolgreiche Verlagshaus F. A. Brockhaus führte. Mit Frau Luise Konstanze Brockhaus (1805 -1872), einer Schwester Richard Wagners, war Ottilie von Steyber befreundet. In den folgenden sechs Jahren kümmerte sie sich um die vier Brockhaus-Töchter - Marianne Luise (1829-1919), Sophie Elisabeth (1830-1912), Clara (1833-1899), Ottilie (1836-1903) - und nahm am gesellschaftlichen Leben im Hause teil.
Als sich die älteste Tochter Marianne 1847 verheiratete, erhielt Ottilie von Freunden die Empfehlung, eine eigene Schule für Mädchen aus gehobenen Gesellschaftskreisen zu gründen, was allerdings nur Bürgerinnen der Stadt gestattet war. Ottilie von Steyber erhielt das Bleiberecht für Leipzig dann durch einen Antrag auf Gewährung der Schutzverwandtschaft. Wahrscheinlich im Jahr 1848 eröffnete sie in der Königsstraße 4 (heute Goldschmidtstraße; das Haus steht nicht mehr) das "von Steybersche Institut. Höhere Mädchenschule und Pensionat", wo sie auch selbst wohnte. Hier wurden Schülerinnen bis zum Abschluss der 10. Klasse unterrichtet. Mit Anzeigen im jährlich erscheinenden Leipziger Adressbuch warb sie für ihr Institut - im Jahr 1858 wie folgt: "Lehr- und Erziehungsinstitut für Kinder jedes Alters, Tagesschüler/ ganze und halbe Pensionaire./ Fortbildungsinstitut für junge Mädchen./ Institut zur Bildung junger Lehrerinnen./ Die Aufnahme kann täglich geschehen." 1861 zog sie mit dem Institut in die Königsstraße 22 um. Ab 1862 arbeitete Auguste Schmidt (1833-1902) als Lehrerin in diesem Institut. 1865 sind für das Von Steybersche Institut sechs Lehrer und drei Lehrerinnen nachgewiesen, darunter waren wahrscheinlich auch die Schmidt-Schwestern Anna und Clara.
Am 24. Februar 1865 nahmen Ottilie von Steyber und Auguste Schmidt an einem Treffen in der Wohnung von Prof. Emil Adolph Roßmäßler (1806-1867) und seiner Frau Emilie geborene Neubert teil, bei dem die Gründung eines Frauenbildungsvereins beschlossen wurde. Anwesend waren außerdem der Hauptmann a. D. und Frauenrechtler Philipp Anton Korn (1816-1886), die Schriftstellerin Louise Otto-Peters (1819-1895), die Rabbinergattin Henriette Goldschmidt (1825-1920), dazu Marie Zopff, Ehefrau des Komponisten Dr. Hermann Zopff (1826-1883), die Lehrerin und spätere Begründerin der Kindergartenbewegung in den USA Emma Jacobina Christiana Marwedel (1818-1893), Henriette Hirschel und andere. Nach dem mitreißenden Vortrag "Leben ist Streben" von Auguste Schmidt am 7. März in der Buchhändlerbörse in der Ritterstraße wurde am 8. März 1865 im von Steyberschen Institut, Königsstraße 22, der Frauenbildungsverein FBV gegründet. Noch am gleichen Tag beschlossen die Frauen auf Anregung von Louise Otto-Peters, für den Oktober des Jahres eine gesamtdeutsche Frauenkonferenz einzuberufen. Der FBV war der erste Frauenverein, der erklärtermaßen nicht der Wohltätigkeit diente, sondern den Frauen Hilfe zur Selbsthilfe vermittelte. Louise Otto-Peters und Ottilie von Steyber wurden zu Vorsteherinnen gewählt.
Zu den Aktivitäten des FBV in den nächsten Jahren gehörten etwa 25 Veranstaltungen jährlich mit Vorträgen, Musik, Gesang, Rezitation für alle interessierten Frauen, die Gründung eines Büros für Abschreiberinnen als "neue Bahn für den weiblichen Erwerb" und kleine Einnahmequelle für den Verein, die Gründung einer Sonntagsschule für konfirmierte Mädchen mit den Fächern Deutsche Sprache, Französisch, Rechnen mit Buchführung und weibliche Handarbeit, die ab September 1865 zunächst im Lokal des Arbeiterbildungsvereins in der Ritterstraße, später unentgeltlich im Steyberschen Institut abgehalten wurde und wo sich vor allem Dienstmädchen weiter bilden konnten, die Gründung einer eigenen Bibliothek und einer Speiseanstalt mit Kochschule, die Gründung der Abteilung für Schutzbefohlene, das heißt Sonntagsunterhaltung und Bildung für aus den Volksschulen entlassene Mädchen, dazu Generalversammlungen und Stiftungsfeste. Später wurde diese Sonntagsschule zur Fortbildungsschule erweitert, mit den zusätzlichen Fächern Literatur, Englisch, Geographie, Geschichte, Zeichnen, Schneidern, Schönschreiben, Gesang und Gesundheitslehre. In mehreren Klassen wurden die Mädchen auch wochentags unterrichtet. Oft gelang es, den Schülerinnen Stellen zu vermitteln; einige ließen sich später selbst zur Lehrerin ausbilden. All dies wurde von den Vereinsfrauen, darunter Ottilie von Steyber, unentgeltlich neben ihrer eigentlichen Erwerbsarbeit geleistet.
Auch an der Vorbereitung der vom FBV beschlossenen gesamtdeutschen Frauenkonferenz war Ottilie von Steyber beteiligt. Gemeinsam mit Louise Otto-Peters verfasste sie die Einladungen. Die Konferenz fand vom 15. bis zum 18. Oktober 1865 in Leipzig statt. Nach dem Auftakt in der Buchhändlerbörse tagten 300 Frauen aus allen Teilen Deutschlands im Schützenhaus in der Wintergartenstraße und gründeten den Allgemeinen Deutsche Frauenverein ADF. Erste Vorsitzende wurde Louise Otto-Peters, Stellvertreterin Auguste Schmidt. Zum Vorstand gehörten Ottilie von Steyber, Alwine Winter, Henriette Hirschel und Anna Voigt. Im überregional agierenden ADF wagten Frauen die Selbstorganisation. Männer waren im Verein nur als Ehrenmitglieder zugelassen. Ziel war der Zugang der Frauen zur schulischen, beruflichen und universitären Bildung und damit zur eigenständigen Erwerbsarbeit.
Bis 1869 hatte Ottilie von Steyber ihr Institut mit angeschlossenem Lehrerinnenbildungsseminar erfolgreich geführt. Es gab vier Klassen mit insgesamt 40 Schülerinnen. Sechs Lehrer und vier Lehrerinnen unterrichteten die Fächer Deutsch, Religion, Literatur, Pädagogik, Rechnen, Naturgeschichte, Französisch, Englisch und Gesang. Am 7. April 1870 starb Ottilie von Steyber 66-jährig in Leipzig. Neue Vorsteherin des Instituts wurde Auguste Schmidt, die die Schule in den folgenden Jahren weiter ausbaute.
Das von Ottilie von Steyber gegründete Institut zählte zu den renommierten Einrichtungen der höheren Mädchenbildung in Leipzig. Der gute Ruf der Schule hatte das ADF-Mitglied Josephine Eißner (1822-1906) bewogen, den Umzug ihrer Familie von Wiederau nach Leipzig durchzusetzen, um ihrer Tochter Clara Eißner (später Zetkin) den Besuch dieser Schule zu ermöglichen. Diese hatte dann 1874 bis 1878 eine Freistelle am Steyberschen Institut und ließ sich zur Sprachlehrerin ausbilden. Als im Sommersemester 1906 die Leipziger Universität für Frauen geöffnet wurde, gehörten zu den ersten 27 Studentinnen auch Martha Beerholdt (1886-1939) und Marie Kröhne, zwei ehemalige Schülerinnen des von Steyberschen Instituts, die zudem in den Gymnasialkursen des ADF unter Leitung von Dr. Käthe Windscheid das Abitur abgelegt hatten.
Adressen in Leipzig
- 1848-1860: Königsstraße 4 (heute Goldschmidtstraße; das Haus steht nicht mehr)
- 1861-1870: Königsstraße 22 (heute Goldschmidtstraße; das Haus steht nicht mehr)
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- Porträt Frl. Ottilie von Steyber, fotografiert von Bertha Wehnert-Beckmann, in der Fotothek des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig.
- Steyberweg (04129 Leipzig, seit 2014). Von der Louise-Otto-Peters-Gesellschaft e.V. initiierte Erläuterungstafel zum Straßennamen seit 2020.
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Astrid Franzke, Ottilie von Steyber (1804-1870), Erzieherin in der Familie Brockhaus und Schulvorsteherin, in: Leipziger Lerchen, 1. Folge (LOUISEum 11), Beucha 1999.
- Vortrags- und Kursangebot des Frauenbildungsvereins in Leipzig (1865-1884), in: Louise Otto-Peters, Das Recht der Frauen auf Erwerb. 1866, Seiten 80-81. Hannelore Rothenburg, Dr. phil. Käthe Windscheid - Wegbereiterin für das Frauenstudium. In: Leben ist Streben. Das erste Auguste-Schmidt-Buch. Herausgegeben von Johanna Ludwig, Ilse Nagelschmidt und Susanne Schötz, unter Mitarbeit von Sandra Berndt. Leipzig 2003. Leipziger Studien zur Frauen- und Geschlechterforschung, Reihe C Band 3 (LOUISEum 17).
- Gerhild Schwendler/ Günter Katsch, Leipzigs erste Studentin, in: Leipziger Blätter 17/ 1990, Seiten 26-27.
Autorin: Gerlinde Kämmerer, 2013/2022