Jessica Heller
Mein Weg in den Leipziger Stadtrat
Schon während meiner Schulzeit habe ich mich für Politik und Weltgeschehen interessiert, habe aber nie darüber nachgedacht, parteipolitisch aktiv zu werden. Ausschlaggebend für meine Kandidatur waren die direkte Ansprache und die Ermunterung durch die Ortschaftsräte in Hartmannsdorf - die Ortschaft, in der ich aufgewachsen und verwurzelt bin. Aus Interesse ging ich regelmäßig zu den Ortschaftsratssitzungen, habe im Hintergrund mitgeholfen, zum Beispiel bei der Homepage. Irgendwann hat mich der Ortsvorsteher gefragt: "Jessica, willst du nicht für den nächsten Ortschaftsrat kandidieren? Wir könnten frisches Blut gut gebrauchen ...". Das würde mir Spaß machen, habe ich gedacht, und es passte auch ansonsten zu meiner damaligen Lebenssituation; zu diesem Zeitpunkt habe ich in der Pflege gearbeitet. Wenn ich neben der Arbeit Zeit hatte, habe ich mir dann die Stadtratssitzungen von der Empore als interessierte Bürgerin angesehen; ich wollte wissen, wie das funktioniert, was da abläuft. Als nächstes folgte ein Gespräch mit den CDU-Ortsverbandsvorsitzenden, in dem es darum ging, Haltungen und Werte auszutauschen. Nach dem Gespräch war klar, dass ich als Kandidatin für den Stadtrat auf die CDU-Listen für Ortschafts- und Stadtrat aufgenommen werde - ohne vorher in die Partei eintreten zu müssen! Ich selbst habe es für ziemlich unwahrscheinlich gehalten, dass ich im als politisch Unvernetzte in den Stadtrat gewählt werde und ich wollte ja vor allem in den Ortschaftsrat. Die Stadtratswahl 2014 brachte mir das drittbeste Listenergebnis im Südwesten und damit war ich nicht gewählt. Weil allerdings die Kandidatin auf Platz zwei das Amt aus persönlichen Gründen nicht antrat, hieß das für mich, ich musste mich entscheiden. Damals las ich gerade das Buch "Lean In: Frauen und der Wille zum Erfolg" von Sheryl Sandberg - facebook-Geschäftsführerin. Sie vertritt unter anderem die These, dass Frauen wenn sie ein Amt angeboten bekommen, viel länger als Männer darüber nachdenken unter dem Motto: "Kann ich das überhaupt?" und "Ach Gott, vielleicht lieber nicht ...", so in diese Richtung. Da habe ich mir gesagt, egal, ob das jetzt stimmt, es wäre doch blöd, wenn ich sagen würde: Ich nehme die Wahl nicht an, weil ich nicht weiß, ob ich in der politischen Arbeit gut bin. Learning bei doing! Wenn ich es wirklich nicht kann, dann finde ich das früh genug heraus.
Herausforderung Kommunalpolitik
Kommunalpolitik ist im Unterschied zu Landes- oder Bundespolitik ehrenamtlich. Das ist einerseits herausfordernd, weil man bei der Fülle der Themen immer mehr Zeit bräuchte. Andererseits ist gerade das ehrenamtliche Wirken eine wohltuende Herangehensweise an Politik, weil man direkt an der Realität der Bürgerinnen und Bürger dran ist und als Erwerbstätige noch einen anderen Input in die politische Arbeit mitbringt.
Herausfordernd sind auch die vielen Aufgaben und Themen, die einem in der Stadtgesellschaft begegnen. Die Vielfältigkeit einer Stadt wie Leipzig mit ihren unterschiedlichen Gegebenheiten und Ausprägungen, vom hippen Plagwitz bis zum dörflichen Hartmannsdorf - beide befinden sich in meinem Wahlkreis - hier einen Weg zu finden, der allen Interessenlagen gut tut, das ist eine schwere Aufgabe. Für mich steht auf der Agenda, die Ortschaften nicht zu vergessen, denn leider ist es häufig so, dass für zentrale innerstädtische Bereiche Politik gedacht wird, aber nicht für die Randlagen mit ihren teilweise ganz anderen Bedürfnissen und das ist nicht nur im Stadtrat so, sondern das ist auch häufig in der Stadtverwaltung so. Wenn dann jahrelang Sachen nicht in Angriff genommen werden, weil der Fokus auf den zentrumsnahmen Arealen liegt, zum Beispiel bei den Schulen und Kitas, ... da habe ich das Gefühl, da muss man als Stadträtin viel mehr gängeln und sagen "Hier, habt ihr mal geschaut, wann das erste Mal über den nötigen Anbau dieser Grundschule gesprochen wurde?! Damals habe ich da noch die Schulbank gedrückt! Jetzt braucht es hier endlich mal ein Ergebnis, eine Tat, eine Lösung des Problems!"
Die Vielfältigkeit der unterschiedlichen Stadträume bietet aber auch enorme Potenziale für die Entwicklung der Stadt Leipzig, weil damit diversen Lebensentwürfen Raum angeboten wird. Das forciert die Entwicklung Leipzigs und macht die Stadt so reizvoll, weil jeder einen Platz für sich finden kann. Sich dafür einzusetzen und dafür zu streiten, das ist eine echte Herausforderung, die mir sehr viel Freude macht.
Viele kommunalpolitische Themen sind aber mit anderen politischen Ebenen verzahnt, zum Beispiel die weitere Entwicklung des Gewerbegebietes in Knautnaundorf. Da gilt es Themen wie Verkehrsanbindung zu bedenken, das kann man als Kommunalpolitikerin aber nicht allein. Andere Akteure kommen ins Spiel (zum Beispiel die Deutsche Bahn) und dann ist man schnell auch auf der Ebene der Landes- oder Bundespolitik. Da ist es Voraussetzung, dass man eben auch mit den anderen gut zusammenarbeitet, viel im Netzwerk unterwegs ist, auch mit Landtags- und Bundestagsabgeordneten spricht, dafür muss man wissen, wer alles mit ins Boot geholt werden muss, damit es auch zu einer guten Lösung kommen kann.
Daneben steht die Arbeit in und mit Vereinen, die Arbeit im Wahlkreis mit Initiativen, Siedlervereinigungen oder auch einzelnen Bürgerinnen und Bürgern mit ihren konkreten Problemen oder Ideen. Kommunalpolitik ist ausgesprochen breit gefächert und auf keinen Fall nur Sitzung und Ausschuss. Das Parlamentarische - das gehört natürlich dazu, aber für mich hat Kommunalpolitik hauptsächlich mit Begegnung und Heimat zu tun.
Was sollte eine Stadträtin mitbringen?
Mein Tipp für Frauen, die sich überlegen, in die Kommunalpolitik zu gehen? - Traut Euch! Es braucht nur wenige persönliche Voraussetzungen, zum Beispiel Kommunikationsfähigkeit, Aufgeschlossenheit. Die eigene Haltung ist wichtig, aber dennoch muss man anderen zuhören können und nicht immer auf den eigenen Vorstellungen beharren. Sensibel dafür zu sein, wenn Schema F nicht passt. Das schließt Wertschätzung und Akzeptanz anderer Meinungen ein. Außerdem sollte man anderen vertrauen können und nicht die Erwartung haben, dass es immer harmonisch läuft; es gehört einfach dazu, dass man auch mal aneinander stößt, es sollte aber konstruktiv sein.
Mut ist gefragt und sich trauen, in den einzelnen Bereichen auch durch learning by doing voran zu kommen; eben einfach machen. Wenn man offen und lernwillig ran geht, sich aktiv Hilfe holt, wo das nötig ist, dann kann eigentlich gar nicht viel schief gehen.
Das wichtigste ist aber zu verstehen, was ein Kompromiss ist: Sich von der eigenen Position auf einen anderen Menschen zuzubewegen, zu wissen, ich bekomme nicht immer, was ich will, aber Kommunalpolitik bietet mir die Möglichkeit daran mitzuarbeiten, dass Dinge sich verändern, besser werden.
Unterstützungsmechanismen
Ganz wichtig war für mich das Vertrauensverhältnis zu den beiden Vertretern im Ortschaftsrat, gerade auch für einen solchen Neuling wie mich, außerhalb der Parteipolitik stehend; denn normalerweise geht man ja einen anderen Weg, zum Beispiel über die Jugendorganisation der Partei, wächst rein und hat Zeit, Leute kennenzulernen und herauszubekommen, wer ist wo, und wie stehen alle zueinander ... Die CDU ist ja eine große Partei, da gibt es viele Richtungen, das bereichert die Sache, aber für jemanden, der neu dazu kommt, ist das eine ganz schöne Hürde. Es hat ein reichliches halbes Jahr gedauert, bis ich die Leute zu- und einordnen konnte. In dieser Zeit ist es besonders wichtig, dass man Menschen um sich hat, denen man vertraut, die man fragen kann und die einen unterstützen. Das war - ehrlich gesagt - eine sehr schöne Erfahrung; denn sobald klar war, dass ich das Amt annehme, haben sich verschiedene Leute einfach bei mir gemeldet, zum Beispiel Fraktionskolleginnen oder unser Fraktionsgeschäftsführer, die mir ihre Hilfe angeboten haben - das ist schon sehr wichtig, rein formal ist das zwar kein Mentoring, aber praktisch war das schon so...
Zu den Unterstützungsmechanismen zählt auch die Arbeitsteilung. Wir haben uns in der Fraktion in Arbeitskreise eingeteilt. Unter anderem arbeite ich im Fachausschuss Allgemeine Verwaltung. Der ist im Übrigen ein guter Ausschuss für so einen Neuling wie mich, weil man ziemlich schnell einen Einblick in alle Bereiche der Kommunalpolitik bekommt. Durch die Arbeitskreise beschäftigen wir uns gemeinsam mit Vorlagen oder Anträgen, die die Fraktion einbringen und beraten sehr ausführlich, wie wir uns positionieren wollen. So ist auch eine gute Fraktionsgeschäftsstelle eine Gelingensbedingung, denn die sortiert und bereitet vor. Alle Arbeitskreise treffen sich zweiwöchentlich in kleiner Gruppe.
Dann geht es in die Fraktionssitzung, wo die unterschiedlichen Perspektiven geklärt werden: Was muss mit in die Ausschüsse? Welche Nachfragen an die Verwaltung sind wichtig? Mehrheitlich wird der Expertise der Stadträtinnen in den jeweiligen Arbeitskreisen und Ausschüssen vertraut, eingeholt werden auch die Standpunkte der Stadtbezirks- oder Ortschaftsräte - es sind also immer viele Ströme und häufig hat man dann schon vor der Ratsversammlung einen Kompass, wie man abstimmt.
Einmal im Monat treffen sich alle CDU-Stadträte in der Fraktionssitzung, besprechen die Themen, die von den Arbeitsgruppen noch nicht abschließend beurteilt wurden oder, die wir auf breite Füße stellen wollen.
Drei Gründe für ein kommunalpolitisches Engagement
Es ist eine Frage der Balance, des Gleichgewichts. Wenn man alles, was man in der Politik entscheidet, als beste Lösung unter den gegebenen Umständen betrachtet, dann kann man das meines Erachtens nur erreichen, wenn die, die darüber reden und entscheiden selbst eine Ausgeglichenheit zwischen den einzelnen Lebensentwürfen und Lebenslagen repräsentieren. Das kann man auch an persönlichen Merkmalen festmachen wie Alter oder Geschlecht, aber es gibt noch viele weitere Faktoren. Gemischte Teams bringen einen größeren Ideenreichtum, ohne die Berücksichtigung vieler Interessenlagen kommt man immer zu einem schlechteren Ergebnis.
Mit Kommunalpolitik schließt sich ein Kreis. Man sieht, wie viele Sachen funktionieren und wie man selbst dazu beitragen konnte. Das an sich ist schon schön, aber wenn man noch etwas Positives rausholt für die Leute, für die man sich einsetzt, dann wird man doppelt belohnt.
Grundsätzlich ist das demokratische Engagement für alle eine Chance. So wünschen wir uns mehr (junge) Frauen, die mit uns in der Kommunalpolitik arbeiten; es muss ja kein Wahlamt sein, Kommunalpolitik hat viele Möglichkeiten, zum Beispiel im Jugendhilfeausschuss als sachkundige Bürgerin oder einfach in einem Ortschaftsrat oder einer Initiative.
Kurzportrait
persönlich: Jessica Heller, geboren 1990 in Zwenkau, Gesundheits- und Krankenpflegerin, derzeit: Medizinstudium
parteipolitisch: CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat, Mitglied der CDU, der Jungen Union und der Frauenunion
kommunal: Wahlkreis 5 (Schleußig, Plagwitz, Kleinzschocher, Großzschocher, Windorf, Knautkleeberg, Knauthain, Hartmannsdorf, Knautnaundorf, Rehbach, Grünau-Siedlung); Ausschussmitglied im BA Jugend, Soziales Gesundheit, im FA Allgemeine Verwaltung, im FA Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule, Mitglied im Beirat für Gleichstellung, Mitglied im Aufsichtsrat Klinikum St. Georg gGmbH