Woher kam der mörderische Hass des Täters?
Pawel war Oberbürgermeister der Stadt Danzig, ein Demokrat und Menschenfreund, ein Mann der Verständigung und der Freiheit des Wortes, der Offenheit für den anderen und der klaren Ablehnung von Unmenschlichkeit und nationalistischer Ausgrenzung.
Ich glaube, Pawel wurde wegen der vergifteten gesellschaftlichen Lage, der in Polen sich seit Jahren drehenden unglaublichen Spirale von Hass und Gewalt und gerade wegen seiner demokratischen Offenheit ein Opfer. Sein gewaltsamer Tod muss für uns eine Verpflichtung sein, inne zu halten, zu gedenken und für die wichtigste politische Tugend zu kämpfen, die im Schatten der Hassreden verloren zu gehen droht: Respekt!
'Unmenschlichkeit beginnt mit Worten' stand im November in Erinnerung an die 80. Wiederkehr der Reichspogromnacht in großen Lettern an der Fassade unseres Rathauses. Dieses Verbrechen im November 1938 kam nicht aus heiterem Himmel, es war über Jahre vorbereitet, es hatte sich eingeschlichen in die Gesellschaft, in die Köpfe. Irgendwann waren Dinge aussprechbar, die noch wenige Jahre zuvor nicht denkbar gewesen waren. Und es schien allen ganz normal. Worte sind ein schleichendes Gift, sie zerstören den Respekt vor dem Gegenüber, sie können zur unmenschlichen Tat verführen.
Paweł Adamowicz ist Opfer solcher Worte geworden, die seit Jahren - nicht nur in Polen - unser Denken vergiften. Zunächst eher Randnotizen, die scheinbar nicht ernst gemeint sind, die im vermeintlichen Spaß Menschen verunglimpften; diese kleinen Gehässigkeiten wachsen im Laufe der Zeit, werden groß und ernst. Aus ihnen wird Politik und gesellschaftliche Realität - nicht nur in Polen. Unser Zusammenleben basiert auf Worten. Vergiftete Worte lassen eine vergiftete Gesellschaft gedeihen. Beleidigungen, Verleumdungen und Lügen kriechen zurück in unser Zusammenleben. Und Politikerinnen und Politiker gelten vielen als vogelfrei. 'Die Beleidigung gehört eben dazu', hört man oftmals.
Paweł Adamowicz musste dafür mit seinem Leben bezahlen. Auch der vermeintlich verwirrte Einzeltäter kann durch das Klima und die sprachliche Aufrüstung in unserer Gesellschaft zur Tat motiviert werden. Aus dem politischen Streit, den man mit Argumenten führt und an dessen Ende ein Kompromiss steht, ist oftmals verbissenes Gezänk geworden, Rechthaberei, Pöbelei und schließlich Gewalt.
Ich will diese Gewalt nicht. Ich möchte nicht, dass noch mehr Menschen Freunde verlieren. Ich wünsche mir, dass wir uns mit Respekt begegnen. Und der erste Schritt ist, meine Meinung mit Respekt vor dem anderen zu vertreten; engagiert in der Sache, ja, durchaus emotional, ja, aber nie die Würde anderer Menschen verletzend.
Und genauso wichtig ist das Zuhören. Zuhören kann jede und jeder, man benötigt dazu keine Vorbildung, sondern nur die eigene Bereitschaft.
Politiker sollten zuhören, aber Arbeiter auch, Studierende können es, Mütter und Väter können es, Journalisten sollten zuhören, Arbeitslose - und die Chefin kann es auch. Wer zuhört, ist erst einmal still. Er überlegt. Er wägt ab. In diesen kostbaren Momenten des Abwägens schrumpft der Hass, und der Respekt bekommt seine Chance. Ich muss nicht die andere Meinung teilen, ich muss nicht jede Haltung gutheißen - aber ich muss sie mir anhören, wenn sie mit Respekt vorgetragen wird. Und dann kann ich sie meinerseits mit Respekt vor der Würde des Gegenübers widerlegen oder teilen, kann sie zurückweisen und erklären, dass ich diesen Gedanken für völlig falsch halte. Aber eben erst dann. Diesen Respekt hat jede und jeder verdient, den Respekt davor, ausreden zu dürfen. Wer zuhört, anerkennt das Recht des Anderen auf seine eigene Meinung. Für dieses Recht möchte ich eintreten, auch dann, wenn ich die Meinung nicht teile. Aber dazu gehört eben auch, dass die eigene Meinung mit Respekt vor dem anderen vertreten wird.
Ich bin überzeugt: Mit mehr Respekt und einer anderen Kultur der Worte würde Pawel Adamowicz noch leben."