„Vorher war alles etwas bürokratischer, die Frauen mussten sich durchtelefonieren. Jetzt gibt es unter 0341 55010420 eine zentrale Anlaufstelle bei häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder. Außerdem waren wir in den Frauenschutzhäusern nicht 24 Stunden vor Ort, sondern hatten nachts und an den Wochenenden nur eine telefonische Bereitschaft. In der Sofortaufnahme ist immer jemand da“, erklärt Madeleine Burkowsky die Vorteile der neuen Zentralen Sofortaufnahme. Sie leitet für den Förderverein sozialer Projekte e. V. das seit 1996 bestehende Frauen- und Kinderschutzhaus in Leipzig und war auch am Aufbau des neuen 4. Frauenschutzhauses mit Sofortaufnahme beteiligt, das seit diesem Jahr ebenfalls vom Verein getragen und von Noreen Morgenstern geleitet wird.
Hohe Fallzahlen
Wie groß der Bedarf ist, zeigen die Zahlen des Sächsischen Innenministeriums für 2020, die die Stadt Leipzig anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen am 25. November veröffentlicht hat: Allein in Leipzig gab es 1.774 gemeldete Fälle von häuslicher Gewalt, dazu 147 Stalking-Anzeigen. 359 Mal musste die Leipziger Polizei Gewalttäter der Wohnung verweisen.
Mit der Sofortaufnahme hat die Stadt gemeinsam mit dem freien Träger nun eine Anlaufstelle geschaffen, die von der telefonischen Erstberatung bis hin zur Aufnahme für wenige Tage alle Möglichkeiten für Betroffene bietet. „Viele Frauen wollen sich erstmal beraten lassen: Will ich den Schritt ins Frauenhaus überhaupt gehen, was bedeutet das? Hier können wir einen anonymen Schutzraum bieten und zu verschiedenen Wegen und Möglichkeiten aus der Gewalt beraten“, sagt Burkowsky.
Ambulante Beratungsstelle erster Schritt
So könne manchen Betroffenen schon ein persönliches Gespräch in der Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking (KIS) in der Karl-Liebknecht-Straße helfen, andere suchten die anonyme Beratung am Telefon und wieder andere bräuchten den räumlichen Schutz eines Frauenschutzhauses.
„Wer in die Sofortaufnahme kommt, bleibt etwa vier Werktage da und kann in dieser Zeit entscheiden, welchen Weg sie gehen möchte. Im Schutzhaus selbst bleiben die meisten Frauen drei bis vier Monate, manche aber auch bis zu einem Jahr, bis existenzsichernde und rechtliche Fragen weitestgehend geklärt sind und eigener Wohnraum gefunden ist“, erklärt Burkowsky.
Der Aufenthalt in der Sofortaufnahme ist für die Frauen kostenfrei. Hier stehen sechs Zimmer für sie und ihre Kinder zur Verfügung. Jede Frau erhält ihr eigenes Zimmer. Im 4. Frauen- und Kinderschutzhaus, das derzeit noch im selben Gebäude untergebracht ist, stehen acht Zimmer zur längerfristigen Aufnahme zur Verfügung. Insgesamt verfügt die Stadt Leipzig über vier Gewaltschutzeinrichtungen mit 97 Betten in 49 Zimmern. Zwei Einrichtungen stehen unter Trägerschaft des Fördervereins sozialer Projekte e. V., das 1. Autonome Frauenhaus und ein Schutzhaus speziell für geflüchtete Frauen (S.H.E.) unter Trägerschaft vom Frauen für Frauen e. V.
Nutzungsentgelt im Frauenschutzhaus
In den Häusern zahlen die Frauen ein pro Tag berechnetes Nutzungsentgelt, welches je nach finanzieller Lage der Betroffenen auch vom Jobcenter oder Sozialamt übernommen wird. „Anders als in der Sofortaufnahme sind neben den Fördergeldern von Stadt und Land eine wesentliche Finanzierungssäule der Frauen- und Kinderschutzeinrichtungen die Eigenmittel der Trägervereine, die sich vor allem aus Spenden und Nutzungsentgelten zusammensetzen. Ich würde mir grundsätzlich wünschen, dass es von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern so leicht wie möglich gemacht wird, eine Gewaltsituation zu verlassen und Schutz und Beratung in einem Frauenschutzhaus zu finden. Da sind wir in Leipzig nun mit der Zentralen Sofortaufnahme einen kleinen Schritt weiter“, sagt Burkowsky.
Problem in allen sozialen Schichten und Altersklassen
Dabei ist häusliche Gewalt keine Frage der sozialen Lage von Familien. Auch das Alter der Betroffenen variiert stark. „Ich erinnere mich an eine 89-jährige Frau, die im vergangenen Jahr nach jahrzehntelangen Gewalterfahrungen durch ihren Ehemann in unserem Haus Schutz und Beratung gesucht hatte, nachdem sie von ihrem Mann wie schon so oft angeschrien, gedemütigt und an diesem Tag im Nachthemd aus der gemeinsamen Wohnung gesperrt wurde“, berichtet Burkowsky. Besonders schwer sei es für Frauen eine Gewaltsituation zu verlassen, wenn sehr patriarchale Rollenbilder vorherrschen und Frauen nicht einmal die Unterstützung der eigenen Familie erleben, die Gewalt zu beenden. Viele denken zudem bei häuslicher Gewalt zuerst an körperliche Gewalt, Tritte, Schläge, ein blaues Auge. Ebenso inakzeptabel und folgenschwer sind aber auch Formen psychischer Gewalt, wenn etwa die Frau das Haus nur zu gewissen Anlässen verlassen, nicht arbeiten oder keinen Kontakt zu Freunden oder Familie haben darf.
Auf die Bedürfnisse der verschiedenen Altersgruppen und familiären Situationen der betroffenen Frauen sind die Mitarbeiterinnen in den Frauen- und Kinderschutzeinrichtungen eingestellt. Sozialarbeiterinnen mit Zusatzqualifikationen im Bereich Trauma, Systemische Beratung oder Kinderschutz sind hier für die Frauen und Kinder da. Wichtig zum Schutz der Frauen: Besuch ist in den Schutzhäusern streng verboten. Auch deren Standorte werden nicht preisgegeben.
Umzug in neues Gebäude
Im nächsten Jahr ist für das 4. Frauen- und Kinderschutzhaus und die Sofortaufnahme ein Umzug geplant – raus aus der Interimslösung von 2020 rein in ein Gebäude, das besser zu den Bedarfen der Betroffenen passt. „Dort gibt es barrierefreie Wohnungen im Erdgeschoss für Frauen und Kinder mit körperlichen Einschränkungen. Zudem wird es dann separate Eingänge für Schutzhaus und Sofortaufnahme geben, weil die Fluktuation in der Sofortaufnahme sehr hoch ist“, blickt Burkowsky voraus.
Sachsenweit sei Leipzig damit die am besten aufgestellte Kommune. Dennoch fehlten noch etwa zehn Plätze in Frauenhäusern, um den Anforderungen der Istanbul-Konvention gerecht zu werden, wonach ein Familienplatz pro 10.000 Einwohner vorgesehen ist. Dies bleibe eine Aufgabe für die nahe Zukunft.