Computerassistierte Chirurgie: Grenzen der Motorik überschreiten
Leipzig, 18.09.2009 - Interview mit Dr. Gero Strauß, HNO-Chirurg und Direktor des International Reference and Development Centre for Surgical Technology (IRDC) in Leipzig zu den Potenzialen der computerassistierten Chirurgie.
Seit rund zehn Jahren arbeitet Dr. Strauß mit Hightech-Assistenzsystemen und entwickelt sie weiter.
Was kann ein computerassistiertes System besser als der Chirurg allein?
Strauß: Die Grenzen menschlicher Motorik werden überschritten. Mit technischer Hilfe führt der Chirurg selbst feinste Bewegungen aus, die bei bester Begabung so präzise nicht möglich wären. Durch Unterstützung des Navigationssystems kann er Zugänge wählen, die früher zu riskant gewesen sind. Auf hoch aufgelösten Bildern erkennt er viel mehr Einzelheiten und legt die Koordinaten für die Operation detaillierter fest. Die Technik kompensiert kleine Schwächen des Operateurs, die Tagesform bleibt konstant hoch.
Wird also mit entsprechender Technik jeder zu einem Spitzenchirurgen?
Strauß: Chirurgie ist eine häufige Tätigkeit. Bei einem so verbreiteten Beruf gibt es Schwankungen in der Qualität, auch eine so genannte Tagesform. Es gilt, hervorragende Chirurgen mit der verfügbaren Technik noch besser zu machen. Selbst ein Spitzenrennfahrer würde sich nicht zutrauen, so effizient und präzise wie mit einem Antiblockiersystem zu bremsen. Kein Pilot würde in Nebel und Dunkelheit bei Start oder Landung auf die entsprechenden Assistenzsysteme verzichten. Das gilt im übertragenen Sinn auch für die Chirurgie. Grundsätzlich aber muss ein Chirurg immer sicher sein, dass er sein Handwerk beherrscht. Kein Rechner der Welt ersetzt Erfahrung und Intuition. Denn der Chirurg trägt die Verantwortung und muss klarkommen, wenn das Navi ausfällt. Ähnlich wie ein Flugzeugführer bei defektem Autopilot.
Welche weiteren Vorteile bieten diese neuen, modernen Systeme dem Patienten?
Strauß: In erster Linie mehr Sicherheit, weniger Folgeschäden. In meinem Fachgebiet liegen die Komplikationsraten unter fünf Prozent. Das gilt es weiter zu verbessern. Nicht zuletzt steigt die Transparenz. Viele Patienten möchten genau wissen, was im OP-Saal passieren wird. Ich nehme sie mit auf virtuelle Flüge durch ihre Nasenhöhlen, navigiere hinter das Trommelfell oder zoome in den Kehlkopf hinein. Diese Bilder sagen mehr als 1.000 Worte. Das Vertrauen wächst und das Patientengespräch macht uns viel mehr Freude.
Das IRDC verfügt über zwei nagelneue, hochmoderne OP-Säle OR1 von KARL STORZ. Was bringt die Augen des Chirurgen bei all der Hightech besonders zum Leuchten?
Strauß: Der erste Eindruck des neuartigen, aufgeräumten und überschaubaren Arbeitsplatzes. Alles hängt an der Decke, es herrscht kein Durcheinander, kein Kabelgewirr. Licht und Monitore sind perfekt abgestimmt. Die Arbeitsatmosphäre beeindruckt am meisten. Das haben schon viele Kollegen gelobt. Und dann ist da die Logistik, in die der OP nahtlos eingebunden ist. Jederzeit lässt sich zum Beispiel feststellen, wo sich ein Spezialinstrument auf dem Weg von der Aufbereitung in den OP befindet. Ressourcen sind exakter planbar, das spart Geld.
In welchen Bereichen ist der Technologie-Fortschritt am größten?
Strauß: Große Fortschritte hat es bei der Datengrundlage für die individuelle Landkarte jedes Patienten gegeben. Die bildgebenden Verfahren haben mit CT, MRT und PET einen Qualitätssprung gemacht. Die Auflösung ist um den Faktor 10 bis 100 besser geworden. Dies ist wesentliche Voraussetzung für chirurgische Navigationssysteme. Musste das CT in den 1980er-Jahren für 20 Bilder eine Stunde brummen, generiert es heute 800 oder mehr Bilder von einer Körperregion in weniger als zehn Sekunden. Und solche Geräte stehen nicht nur beim Max-Planck-Institut, sondern in ganz normalen radiologischen Praxen.
Wird in Zukunft der Computer unabhängig vom Arzt operieren?
Strauß: Auf keinen Fall. Da gab es in den Pionierjahren der computergestützten Chirurgie einige Irrwege, vieles wurde zu technologiegetrieben entwickelt. Aber bei neuen Ideen wird eben vieles zunächst ausprobiert. Für mich ist Hightech wichtige Assistenz wie das Antiblockiersystem oder die akustische Abstandswarnung beim Auto aber nicht mehr. Solche Assistenten ersetzen nicht den Fahrer. Dabei spielen genauso moralisch-ethische Aspekte eine Rolle: Wie weit vertrauen wir einer Maschine einen Eingriff an, wie weit wollen wir Verantwortung abgeben? Auch ein Flugzeug könnte komplett ohne Pilot fliegen, aber da würde wohl jeder nur mit Unwohlsein einsteigen.
Weitere Informationen: www.irdc-leipzig.de
Quelle: IRDC)+++
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