Die Kulturberatungsfirma actori wurde Ende März 2011 von der Stadt Leipzig beauftragt, Entwicklungsszenarien für die Leipziger Eigenbetriebe Kultur, also für die Oper Leipzig, das Gewandhaus zu Leipzig, das Centraltheater und das Theater der Jungen Welt zu erarbeiten.
Die Ergebnisse des Gutachtens zeigen, dass bei Beibehaltung des bisherigen Zuschusses für die vier Kulturinstitutionen bei unvermindertem Betrieb durch die von Inflation und Tarifsteigerungen bedingte Kostensteigerung bis zur Spielzeit 2014/15 eine Deckungslücke von 5,7 Millionen Euro entsteht.
Durch Optimierungen im jetzigen Zustand wie Effizienzsteigerungen, Ausbau des Sponsorings oder Verbesserungen im Marketing kann die finanzielle Situation der Häuser um rund 1,7 Millionen Euro verbessert werden. Auch die geprüften Kooperationen bringen nur eine marginale Verbesserung von rund 300.000 Euro. Ein klares Ergebnis des Gutachtens ist es daher, dass nur mittel- und langfristige Strukturentscheidungen, unter der Annahme eines gleichbleibenden Gesamtzuschusses, eine dauerhafte Finanzierung der Leipziger Eigenbetriebe Kultur in Zukunft sicherstellen.
actori hat zwölf strategische Entwicklungs-Szenarien für die Leipziger Eigenbetriebe Kultur in ihren finanziellen Effekten berechnet, in ihren nichtmonetären Auswirkungen beschrieben und zu Handlungsoptionen für die Kulturpolitik in Leipzig verdichtet:
1. Einsparungen bei den variablen Budgets an allen Kulturinstitutionen und die Auswirkungen auf die kulturelle Qualität
- I. Durch die Streichung von Produktionen und Konzerten an allen Institutionen könnten rund 1,5 Millionen Euro eingespart werden. Damit sind nichtmonetäre Effekte vor allem beim Umfang des kulturellen Angebots in Leipzig verbunden, das deutlich reduziert würde.
- II. Durch eine 20-prozentige Kürzung der variablen Budgets (Ausstattungs- und Gastkostenetat an den Theatern, Honorarbudgets beim Gewandhaus) könnten Einsparungen von rund 2,1 Millionen Euro erzielt werden. Ein deutlicher Qualitäts- und Renommeeverlust der Häuser wäre die Folge.
- III. Durch eine Verkleinerung des Opernchores und der Ballettensembles an Oper und Musikalischer Komödie wären Einsparungen von rund 1,7 Millionen Euro denkbar. Ein Ballettprogramm in der heutigen Form wäre damit nicht mehr möglich, der Operchor würde einen hörbaren Klangverlust erleben.
2. Radikale Kürzungsszenarien Auswirkungen auf die kulturelle Vielfalt
- IV. Durch die Schließung der Spielstätte Musikalische Komödie in Lindenau bei einer Übernahme von rund 30 Operetten- und Musical-Vorstellungen in die Oper am Augustusplatz könnten Einsparungen in der Höhe von rund sechs Millionen Euro realisiert werden. Allerdings geht damit eine wichtige Kulturspielstätte in Lindenau mit dem ihm eigenen Publikum verloren.
- V. Die Schließung der Zweitspielstätten des Centraltheaters Skala und Spinnwerk bedeutet einen Einspareffekt von rund 1,2 Millionen Euro. Das Centraltheater würde durch den Verlust seiner kleinen Bühne allerdings einen wichtigen Innovationsmotor für das eigene künstlerische Profil verlieren.
- VI. Die Schließung des Chorwesens und der Orgelkonzerte am Gewandhaus wäre mit Einsparungen von rund einer halben Millionen Euro verbunden. Das Gewandhaus würde damit einen Teil seines künstlerischen Profils einbüßen, die deutschlandweit einmalige Brücke zwischen hochqualitativer Laienchormusik und einem erstklassischen Orchester würde damit zerstört.
- VII. Die Schließung der Ballettsparte würde 6,3 Millionen Euro einsparen. Damit wäre allerdings eine Sparte betroffen, die sich aktuell einer äußerst hohen Anerkennung des Leipziger Publikums erfreut.
- VIII. Die Schließung der Sparte Operette und Musical an der Oper (inklusive der Schließung der Spielstätte in Lindenau) führt zu Einsparungen von rund 10,3 Millionen Euro. Zusätzlich zu den in Szenario IV benannten Effekten geht die Vielfalt des Kulturangebots in Leipzig durch die Streichung aller Vorstellungen im Bereich Operette und Musical deutlich zurück.
3. Strukturszenarien und Folgen für die Kulturlandschaft
- IX. Bei einer Fusion des Centraltheaters mit der Oper sind Einsparungen von rund 0,9 Millionen Euro möglich. Das künstlerische Profil beider Institutionen würde dabei an Schärfe verlieren und die Integration des Schauspiels in die Oper Leipzig ist mit einem hohen Umsetzungsaufwand und personellen Risiken verbunden.
- X. Eine Fusion von Oper und Gewandhaus würde Einsparungen von rund 1,3 Millionen Euro erzielen. Allerdings besteht die Gefahr, dass dabei beide Institutionen an künstlerischer Strahlkraft einbüßen, zudem ist dieses Szenario mit hohen Umsetzungsrisiken verbunden.
- XI. Eine programmatische Weiterentwicklung der Musikalischen Komödie hin zum einem auf ein jüngeres Zielpublikum ausgerichteten Theaters mit einem Schwerpunkt auf Musicals und Theater mit Musik bietet eine Alternative zu den reinen Kürzungsszenarien. Einsparungen wären hier in einer Höhe von rund 3,7 Millionen Euro möglich.
- XII. Eine Teilung des Gewandhausorchesters in ein Konzert- und ein Opernorchester wäre nicht mit Einsparungen, sondern mit höheren Kosten verbunden. Zudem würde dieses Szenario stark negative Auswirkungen auf das kulturelle Renommee sowohl von Gewandhausorchester als auch der Oper Leipzig implizieren.
Zusammenfassend kann aus dem Gutachten abgeleitet werden, dass die Leipziger Eigenbetriebe in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen haben um das hohe Niveau der künstlerischen Produktion bei enger werdenden finanziellen Spielräumen abzusichern. Dies bedeutet allerdings auch, dass nur durch radikale Einschnitte in die Struktur der Kulturinstitutionen Kostendämpfungen in einer Größenordnung von 3,7 Millionen Euro möglich sind - dem Betrag, der nach Optimierungen und nach der Ausschöpfung von Kooperationsmöglichkeiten noch zur Schließung der Deckungslücke erforderlich ist. Bei gleich bleibendem Zuschuss für die Eigenbetriebe Kultur, so actori, stehen der Stadt Leipzig nur Handlungsmöglichkeiten offen, die mit mehr oder weniger starken negativen Auswirkungen auf das kulturelle Leben der Stadt verbunden sind.
Durch Einsparungen bei den variablen künstlerischen Budgets der Häuser kann das notwendige Einsparziel nicht erreicht werden. Selbst eine Fusion von Häusern bietet bei hohen Umsetzungsrisiken keine finanziell nachhaltige Entwicklungsperspektive. Das Gutachten führt als Konsequenz aus, dass sich die Leipziger Kulturpolitik in erster Linie mit den strukturellen Szenarien Sparten- oder Spielstättenschließungen oder eine programmatische Neuausrichtung der Musikalischen Komödie auseinandersetzen muss.
actori gibt ausdrücklich keine Empfehlung für oder gegen eines der beschriebenen Entwicklungsszenarien ab. Oberbürgermeister Burkhard Jung betont: Das Gutachten zeigt aus neutraler Position die Gründe auf, die für oder gegen die verschiedenen Entwicklungsszenarien sprechen und verschafft der von der Politik und der Öffentlichkeit zu führenden Diskussion eine faktenbasierte Grundlage. Ich lade heute schon zu einem Bürgerforum Ende November ein, bei dem die Ergebnisse des Gutachtens allen interessierten Leipzigerinnen und Leipzigern vorgestellt werden. Ob und welches der entwickelten Szenarien umgesetzt werden soll, wird im Ergebnis der Diskussionen dem Stadtrat zur Beschlussfassung vorgelegt.
Zur Erarbeitung des Gutachtens
Zur Erarbeitung des Gutachtens wurden zunächst Optimierungspotenziale im Status quo, das heißt unter Beibehaltung der jetzigen grundsätzlichen strukturellen Aufstellung der Häuser untersucht. In einem zweiten Schritt wurden Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Kulturinstitutionen untersucht. Diese beiden Schritte standen unter der Vorgabe, dass die künstlerische Produktion in Umfang und Qualität nicht beeinträchtigt werden sollte. In einer dritten Projektphase wurde schließlich analysiert, welche Einsparungen bei Einschnitten in der künstlerischen Produktion der Häuser realisiert werden könnten, das heißt, Kürzungsszenarien wurden konzipiert und in ihren monetären und nichtmonetären Auswirkungen betrachtet. Alle Entwicklungs-Szenarien waren in ihren künstlerischen, organisatorischen und finanziellen Konsequenzen zu beschreiben.
Die actori GmbH arbeitet als Beratungsunternehmen in den Bereichen Kultur, Bildung und Sport mit Büros an drei Standorten in Deutschland.
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