Seit 2009 städtischer Gedenktag gilt der 9. Oktober als Schlüsseldatum beim Zusammenbruch der DDR 1989, als 70.000 Menschen auf dem Leipziger Innenstadtring friedlich für Reformen demonstrierten. In der vollbesetzten Nikolaikirche erinnerten am späten Freitagnachmittag die Besucher des Friedensgebetes an die Ereignisse vor 26 Jahren. Die Predigt hielt Nikolaikirchen-Pfarrer Bernhard Stief. Der Kammerchor der Schola Cantorum begleitete das Friedensgebet mit Werken von Karl Jenkins, Felix Mendelssohn Bartholdy und Paul O'Manz.
Tradition des Friedensgebetes
Bereits seit 1982 hatten Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen regelmäßig Friedensgebete in der Nikolaikirche durchgeführt. Von hier gingen im September 1989 die Montagsdemonstrationen aus. Nach den Montagsgebeten am 9. Oktober 1989 versammelten sich in der Leipziger Innenstadt schließlich mehr als 70.000 Menschen, um gewaltfrei zu demonstrieren - der Durchbruch für die Friedliche Revolution.
Rede zur Demokratie 2015
Die Rede zur Demokratie in der Nikolaikirche gehört zu den Höhepunkten der Reihe "Herbst ´89". Sie wird von Persönlichkeiten gehalten, die sich um die Demokratie in Europa verdient gemacht haben. In diesem Jahr erinnerte Wolfgang Templin an die Arbeit der politischen Opposition in den letzten Jahren der DDR. Der Mitbegründer der Oppositionsgruppe "Initiative Frieden und Menschenrechte" gilt als einer der wenigen Mittelosteuropa-Experten der DDR-Opposition.
Seit 1990 engagiert sich Templin, der Mitte der 70er-Jahre seine Tätigkeit als IM der Stasi offenlegte, intensiv für die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Er ist Gründungsmitglied des Bürgerbüros zur Aufarbeitung von Folgeschäden der SED-Diktatur und war wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde. Von Mai 2010 bis Januar 2014 leitete er das Landesbüro Polen der Heinrich Böll Stiftung in Warschau.
Er würdigte in seiner Rede (PDF 60 KB) Leipzig als Wiege der Friedlichen Revolution: "Hier auf dem Ring, am 9. Oktober, kam es zur entscheidenden Kraftprobe mit der waffenstarrenden Macht des SED-Regimes. Hier siegten der Mut und die Entschlossenheit der friedlichen Demonstranten und zwangen die verunsicherten und kopflos gewordenen zivilen und militärischen Vertreter der Macht zur Kapitulation."
Weiter nahm er in seiner Rede Bezug zu aktuellen Ereignissen in der Welt. Z. B. das Thema Flüchtlinge und die unterschiedlichen Reaktionen der Bevölkerung darauf. "Vor Flüchtlingsheimen in Ostsachsen und auf Pegida-Kundgebungen in Dresden ertönt der trotzige Ruf 'Wir sind das Volk' und daneben stehen eiskalte Hassprediger, dort vermischt sich der rechte Rand unserer Gesellschaft mit sogenannten Wutbürgern, Freunden Wladimir Putins und dem netten Nachbarn von nebenan. Was treibt solche Proteste an, die sich gegen Flüchtlinge, Menschen aus anderen Kulturen, gegen 'Überfremdung' wenden und die christliche Kultur des Abendlandes bedroht sehen? Waren nicht unsere Proteste damals, auf das Engste mit der Frage nach dem Gehen oder Bleiben verbunden, eine Frage, welche über die eigene Existenz bestimmte; forderten wir nicht Toleranz und Respekt ein, über Konfessionen und Rassen hinaus?"
Mit Sorge beobachtet Wolfgang Templin das Agieren Russlands in Europa und den Umgang der russischen Regierung mit oppositionellen Gruppen im eigenen Land. Er wünscht sich ein starkes, demokratisches Russland als verlässlichen Partner. Er schloss seine Rede mit der Losung der Dekabristen aus den Zeiten polnischer Teilung "Für unsere und eure Freiheit" und ergänzt diese mit einem Aufruf: "Zur Freiheit gehört die Solidarität. Lassen Sie uns dafür eintreten und kämpfen".