Wissenschaftler des Paul-Flechsig-Instituts für Hirnforschung, Abteilung Molekulare und zelluläre Mechanismen der Neurodegeneration, der Universität Leipzig haben Hinweise darauf gefunden, dass die degenerative Alzheimersche Krankheit Folge einer Hirnentwicklungsstörung ist. "Alzheimer scheint in der Tat angeboren zu sein", umreißt Prof. Dr. Thomas Arendt jüngste Forschungsergebnisse, die jetzt in der Fachzeitschrift The American Journal of Pathology beschrieben wurden.
Laut Arendt sind so genannte hyperploide Neuronen dafür verantwortlich, dass bei Alzheimer-Patienten Hirnzellen in großer Zahl absterben. "Bei der Entwicklung von Stammzellen zu Neuronen gibt es eigentlich einen Mechanismus, der solche 'falschen Bausteine' absterben lässt", so Arendt. Bei den hyperploiden Neuronen sind - anders als in der gesunden Zelle - statt zweier Chromosomenpaare eine Vielzahl dieser genetischen Erbgutträger vorhanden. "Manche tragen vier, andere sogar sechs Chromosomenpaare", beschreibt der Hirnforscher. Da es vielfältige Kombinationen solcher Zellen gebe, spreche man auch von einem Mosaik. "Diese Mosaike sind auch im normal entwickelten, erwachsenen gesunden Gehirn vorhanden", so Arendt.
Nach Ansicht der Alzheimer-Experten des Paul-Flechsig-Instituts kann das menschliche System offenbar mit einer bestimmten Zahl hyperploider Zellen im Gehirn durchaus umgehen und sie tolerieren. "Im Gehirn von Alzheimer-Patienten stellen wir aber eine doppelt so hohe Anzahl fest; es scheint eine Toleranzgrenze durchbrochen zu sein", berichtet Arendt. Das Problem dabei ist, dass Hyperploidie ein irreversibler Prozess ist. Die betroffenen Zellen sterben auf jeden Fall ab, gerade so, als ob eine in der Hirnentwicklung nicht vorgenommene Regulierung nachgeholt wird.
Festgestellt haben dies die Hirnforscher bei der Untersuchung von Proben aus Hirnen von Menschen mit unterschiedlich starker Ausprägung der Alzheimer-Krankheit: Sind die hyperploiden Zellen im normalen Gehirn lediglich in begrenzter Zahl vorhanden, so steigt ihre Anzahl in der vorklinischen Phase der Erkrankung sowie in der Zeit, in der erst milde Auswirkungen feststellbar sind, deutlich an. Beim schwer an Alzheimer erkrankten Patienten dagegen sinkt die Zahl der hyperploiden Zellen wieder. "Ein deutlicher Hinweis darauf, dass sie abgestorben sind, denn Zellen verschwinden ja nicht einfach so."
Aus den jetzt vorliegenden Erkenntnissen der Wissenschaftler lassen sich zahlreiche neue Fragestellungen ableiten. "Warum ist eine hyperploide Zelle so anfällig für den Zelltod? Ist diese Fehlentwicklung auch in anderen Organen als dem Gehirn nachweisbar? Gibt es unter Umständen schädliche Einflüsse auf Mutter und Kind in der Schwangerschaft, die zu der Entwicklungsstörung des Hirns führen?" nennt Thomas Arendt nur ein paar mögliche Forschungsansätze. Schnelle Antworten allerdings werde es nicht geben, warnt er vor übertriebenen Hoffnungen.
Universität Leipzig) +++
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