Am 17. und 18. Februar 2011 hat eine Expertenwerkstatt im Neuen Rathaus der Stadt Leipzig stattgefunden. Zu Beginn des gemeinsamen Gespräches wurden die Ergebnisse und Vorschläge der direkt vorangegangenen Jugendwerkstatt zu den Botschaften des geplanten Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmals vorgestellt. Alle Beteiligten empfanden diesen Beitrag als starken Denkanstoß und von besonderem Wert für das gemeinsame Ergebnis.
Zur historischen Bedeutung
Die Friedliche Revolution war Teil des welthistorischen Vorgangs der Selbstbefreiung Ostmitteleuropas, der Wiedergewinnung der Freiheit nach innen und nach außen. Immer wieder hatte sich der Wille zur Freiheit in den Ländern Ostmitteleuropas mit besonderer Beharrlichkeit in Polen schon vor 1989 artikuliert. 1989 brach er sich in einer Länder und Völker verbindenden Freiheitsbewegung endgültig Bahn.
Für die deutsche Entwicklung hatte die Leipziger Demonstration vom 9. Oktober 1989 Schlüsselbedeutung. In der Vielzahl von Akten mutigen Aufbegehrens in der ganzen DDR im Herbst 1989 war es diese Demonstration, in der für alle sichtbar die Kraft gewaltfreien Massenprotestes von 70 000 Bürgern das System in den unumkehrbaren Rückzug trieb. Sie stellt den kritischen Moment im Prozess der Delegitimierung und Überwindung der SED-Diktatur dar. Die Parolen der Friedlichen Revolution Wir sind das Volk und Keine Gewalt wurden in dieser Demonstration exemplarisch Wirklichkeit. Die Bürger eroberten friedlich den öffentlichen Raum zurück. Das war der Beginn des Weges zur Demokratie. Entscheidend für diesen Sieg war die Überwindung der Furcht, zuerst in den kleinen Initiativgruppen, die unter großem Risiko auf die Straße gingen, dann durch die Vielen, die sich ihnen anschlossen.
Die Friedliche Revolution schuf die Voraussetzungen für die Wiedergewinnung der Einheit Deutschlands. Sie trug bei zur Überwindung der Teilung Europas und zur Beendigung des Weltkonfliktes, der das 20. Jahrhundert seit 1917 bestimmt hatte. Die Friedliche Revolution in der DDR war in der an Glücksfällen nicht eben reichen deutschen Geschichte eine Sternstunde. Sie wird von denen, die damals die Diktatur überwanden, auch als ein Augenblick des Glücks erinnert.
Ein Denkmal in Leipzig, einem der europäischen Erinnerungsorte des Jahres 1989, soll die Friedliche Revolution als Kernstück des zustimmungsfähigen Stranges deutscher Geschichte in Erinnerung halten. Es soll das Vermächtnis eines großen historischen Augenblicks für die Nachwelt bewahren.
Zum Standort
Die Friedliche Revolution eroberte in Leipzig vom Schutzraum der Nikolaikirche und ihren Montagsgebeten Schritt für Schritt mit den Montagsdemonstrationen den öffentlichen Raum, den Karl-Marx-Platz, heute Augustusplatz, und schließlich den Ring.
Für die Zeitzeugen sind diese lebendigen Erinnerungsorte besonders bewegend. Das Freiheits- und Einheitsdenkmal hingegen ist keine Gedenkstätte am historischen Ereignisort, sondern wird als nationales Denkmal durch Standort, Gestalt und Aussagekraft über Leipzig hinausweisen und eine eigene Authentizität und Aura entwickeln. Die Authentizität der Botschaft der Friedlichen Revolution steht dabei im Vordergrund. Das Denkmal soll ein Ort der lebendigen Auseinandersetzung und Befassung mit den historischen Ereignissen sein.
Der Augustusplatz, zentraler Leipziger Ort der Friedlichen Revolution, bietet keinen angemessenen Gestaltungsraum für ein solches nationales Denkmal. Es ist durch Gewandhaus und Oper mit ihren großen platzgreifenden Brunnen, dem baulichen Erinnerungszeichen an die zerstörte Universitätskirche sowie technische Aufbauten aller Art mit Bedeutung und Baulichkeit überladen. Die Erinnerung an den Ring als Ort der bewegten Montagsdemonstrationen kann durch informative Stelen und das jährliche Leipziger Lichtfest am 9. Oktober belebt werden.
Der Wilhelm-Leuschner-Platz, heute eine ungestalte, unwirtliche Freifläche, bietet die einmalige Chance zur Gestaltung als neuer zentraler öffentlicher Raum. Er liegt am Ring und nah den Orten des revolutionären Geschehens. Als neuer S-Bahn-Haltepunkt und Umsteigepunkt wird er ein verkehrlich-belebter öffentlicher Ort. Im Mittelpunkt eines großen Stadtraums, geprägt durch das Neue Rathaus mit seinem mächtigen Turm, der Stadtbibliothek, der geplanten Trinitatis-Kirche und Markthalle, mit Blickbeziehungen zum Hochhaus am Augustusplatz und zur Kuppel des Reichsgerichts und nicht zuletzt in der Sichtachse zum Völkerschlachtdenkmal bietet ein neu und großzügig gestalteter Wilhelm-Leuschner-Platz einen idealen Ort für die Erweiterung des öffentlichen Raumes mit dem über Leipzig hinausweisenden Stadtzeichen eines Freiheits- und Einheitsdenkmals.
Zur künstlerischen Aufgabe
Das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal soll ein Kunstwerk sein, das zur Erinnerung, zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung auffordert. Mit künstlerischen Mitteln soll es einen von der Gegenwart aus gestalteten Erinnerungsprozess anstoßen und die Erfahrungen aus der Friedlichen Revolution von der Vergangenheit ins Heute und in die Zukunft überführen. Das Denkmal soll die Lebendigkeit im kommunikativen Gedächtnis in eine Nachhaltigkeit im kulturellen Gedächtnis überführen. Das Denkmal soll individuell erfahrbar sein und sich zugleich als Zeichen im Leipziger Stadtraum dauerhaft und präsent verorten.
Bürgerinnen und Bürger haben sich 1989 aus ihrem Alltag heraus auf den Demonstrationen mutig in die Sichtbarkeit gestellt. Auch das Freiheits- und Einheitsdenkmal soll die Bedeutung der Orte/des Ortes offenkundig werden lassen, ohne sie von der stadträumlichen Alltagstauglichkeit abzugrenzen.
Die Gewaltfreiheit und die Zivilcourage der Friedlichen Revolution wie die errungenen Menschen- und Bürgerrechte sind wichtige thematische Motive.
Das Kunstwerk sollte mit zeitgenössischen formalen und ästhetischen Mitteln arbeiten. Alle Richtungen der Bildenden Kunst sollen mit dieser Aufgabe angesprochen werden, auch konzeptuelle Kunst und partizipatorische Ansätze.
Denkbar ist es, eine Beziehung zu bestehenden historischen Ereignis- und Erinnerungsorten herzustellen.
Den Experten ist es bewusst, dass sich das Projekt in einem Spannungsverhältnis zwischen politisch-programmatischer Aufgabenstellung und kritischer künstlerischer Reflexion befindet. Es wird deshalb als eine besondere und neue Aufgabe betrachtet, ein positives Geschichtsereignis für das demokratische Deutschland mit zeitgenössischen Mitteln der Kunst darzustellen.
Teilnehmer der Expertenwerkstatt
Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke
Univ.-Professor für Zeitgeschichte, TU Dresden, Beiratsvorsitzender der Stiftung Berliner Mauer
Prof. em. Dr. phil. Peter Graf Kielmansegg
Professor für Politische Wissenschaft, Universität Mannheim (1985-2002)
Dr. Tomá? Vilímek Ph.D.
Historiker und Politologe, Institut für Zeitgeschichte, Tschechische Akademie der Wissenschaften, Prag
Prof. Dr. Dieter Daniels
Professor für Kunstgeschichte und Medientheorie, Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig
Prof. Dr. Stefanie Endlich
Freiberufliche Kunstpublizistin, Honorarprofessur für Kunst im öffentlichen Raum, Universität der Künste Berlin
Dipl.-Ing. Florian Mausbach
Architekt, Präsident des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung a. D., Berlin
Prof. Dr.-Ing. Iris Reuther
Professorin für Stadt- und Regionalplanung am Fachbereich Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung, Universität Kassel
Dipl. phil. Christine Dorothea Hölzig
freiberufliche Autorin und Kuratorin im Bereich der zeitgenössischen bildenden Kunst , Mitglied im Sachverständigenforum Kunst am Bau und im öffentlichen Raum der Stadt Leipzig
Prof. Dr. Rainer Eckert
Initiative Tag der Friedlichen Revolution Leipzig 09.Oktober,
Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Zeitgeschichtliches Forum Leipzig, Direktor
Tobias Hollitzer
Sprecher der Initiative Tag der Friedlichen Revolution Leipzig 09.Oktober, Leiter der Gedenkstätte Museum in der Runden Ecke Leipzig
Walter-Christian Steinbach
Initiative Tag der Friedlichen Revolution Leipzig 09.Oktober,
Präsident der Landesdirektion Leipzig a. D.
Thomas Küttler
Superintendent Plauen a. D.
Dr. Ehrhart Neubert
Theologe, Historiker und Bürgerrechtler, Erfurt
René Hobusch
Fraktion im Leipziger Stadtrat
Axel Dyck
Fraktion im Leipziger Stadtrat
Brigitte Moritz
Geschäftsführerin RAA Leipzig
Henny Kellner
Vorstandssprecherin des Verbandes Mehr Demokratie e. V. Sachsen
Weitere Informationen
- Ergebnisse der Jugendwerkstatt vom 14. bis 16. Februar 2011, Pressemeldung^19.02.2011
- Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal: Bürgerumfrage ausgewertet, Pressemeldung^14.02.2011 www.leipzig.de/denkmal
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