01-^Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft". So heißt es in Artikel 6 des Grundgesetzes. Diese Gesamtverantwortung der staatlichen Gemeinschaft ist in den letzten Monaten durch spektakuläre Einzelfälle von Kindesvernachlässigung, Missbrauch oder gar Tötung nachhaltig in das öffentliche Bewusstsein gerückt.
Leipzig hat in den letzten Jahren ein leistungsfähiges und engmaschiges Netzwerk über die Fachprofessionen hinweg aufgebaut und will es im Rahmen des Landesmodellprojektes "Netzwerke für Kinderschutz in Sachsen", das bis Ende 2011 laufen wird, weiter entwickeln und verfeinern. "Die bestehenden Netzwerke funktionieren gut. Es muss uns aber noch besser gelingen, Informationen über gefährdete Kinder oder Familien in Risikosituationen dem Jugendamt zeitnah zukommen zu lassen, um entsprechende Hilfe- und Schutzmaßnahmen unverzüglich einleiten zu können," fordert Bürgermeister Prof. Thomas Fabian mit Nachdruck. Die Kooperation mit den Leipziger Kliniken, niedergelassenen Pädiatern, Schulen, Kindertagesstätten, Einrichtungen und Diensten der Jugendhilfe, der Polizei und dem Familiengericht solle verdichtet werden. "Gleichwohl wird der Schutz von Kindern nicht lückenlos möglich sein," betont Fabian, "wohl aber engmaschiger."
Ergänzend wird in Leipzig und an vier weiteren Modellstandorten in Sachsen eine Forschungsstudie eines Frühpräventionsprojektes durchgeführt. Erstgebärende Frauen und ihre Familien in schwierigen sozialen Lebenslagen werden dabei intensiv durch Hebammen und/oder Sozialpädagogen begleitet. Dieser wissenschaftlich von der Universität Leipzig begleitete Projektbaustein Pro Kind ist Teil des Aktionsprogramms "Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme" des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ). Das Forschungsprojekt zielt auf eine gesunde Lebensführung in der Schwangerschaft, die frühe Förderung des Kindes sowie die begleitende Stabilisierung und Stärkung elterlicher Erziehungskompetenzen ab.
Das Leipziger Netzwerk für Kinderschutz will in diesem Rahmen sein interdisziplinäres kommunales Netzwerk weiter entwickeln und verfolgt dabei fünf Kernziele:
- Aufbau eines standardisierten Informationssystems zwischen den Netzwerkpartnern zur Absicherung der schnellstmöglichen Hilfe im Risiko- bzw. Gefährdungsfall,
- Aufbau einer vernetzten Datenbank zwischen allen Netzwerkpartnern,
- Aus- und Aufbau sowie Sicherung einrichtungsinterner Verfahrensstandards zum Umgang mit Kindeswohlgefährdung,
- Sicherung, Aus- und Aufbau geeigneter Hilfeangebote für Mütter und Familien sowie Kinder im frühpräventiven Bereich,
- weitere Qualifizierung des Fachpersonals der Netzwerkpartner zum Thema Kindeswohlgefährdung.
Zur Gesamtsteuerung wird sich am 23. Januar unter Federführung von Bürgermeister Thomas Fabian eine Netzwerkkonferenz konstituieren, die sich bereits im letzten Jahr zu einem ersten Erfahrungsaustausch versammelt hatte und künftig zweimal im Jahr tagen wird. Eine interdisziplinäre Projektgruppe unter Leitung des Jugendamtes wird die Umsetzung begleiten und sich eng mit der Projektleitung auf Freistaatsebene abstimmen. Um den Ausbau voranzutreiben und die Hürden für die Inanspruchnahme zu senken, soll sowohl für die Fachpraxis als auch für die Öffentlichkeit eine kontinuierliche Berichterstattung erfolgen.
Die Maßnahmen reichen von primärpräventiven Angeboten der Information, Aufklärung und Förderung bis hin zu Interventionen zum Schutz gefährdeter Kinder. Sie sollen möglichst alle Kleinkinder erreichen. Diskriminierungen sollen vermieden und dadurch der Zugang zu Familien mit belasteten Lebenslagen erleichtert werden. Die gezielte Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern auf der einen Seite gilt es ebenso zu leisten wie der notwendige Schutz der Kinder, auch, im Einzelfall, vor ihren Eltern.
In diesem doppelten Mandat bewegt sich nicht nur der Allgemeine Sozialdienst des Jugendamtes. "Die steigende Zahl von Hinweisen aus der Bevölkerung um das Wohl der Kinder, nicht nur in Leipzig, zeigt die wachsende Kultur des Hinsehens, der eben auch öffentlichen Verantwortung für das gute Aufwachsen von Kindern in unserer Gesellschaft", betont Thomas Fabian in seiner Anerkennung der schwierigen und persönlich oftmals sehr belastenden Alltagsarbeit in den acht Sozialbezirken des Allgemeinen Sozialdienstes.
Vor diesem Hintergrund ist das Tätigwerden der Jugendhilfe im Bereich vermuteter oder bestätigter Kindeswohlgefährdung immer auch ein Helfen mit Risiko und ist regelmäßig eine Gratwanderung im Einzelfall. Die Fachkräfte stehen immer im Spannungsfeld zwischen einem einerseits (zu) schnellen, (zu) stark in die Erziehungsautonomie der Eltern eingreifenden und andererseits in einem (zu) späten, nicht ausreichend intensiven Vorgehen", stärkt Jugendamtsleiter Dr. Siegfried Haller seinen Mitarbeitern den Rücken. "Das Netzwerk soll die Handlungssicherheit aller Akteure im System Früher Hilfen fordern und fördern".
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