Der Nachlass von Kunz Nierade (1901-1976), nach dessen Entwürfen u a. die Leipziger Oper errichtet wurde und der maßgeblich am Bau der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport (DHfK) mitwirkte, befindet sich seit heute (30. September) im Stadtarchiv Leipzig. Im Auftrag der Familie übergab Stephan Nierade, ein Sohn des Architekten, die Unterlagen an Hauptamtsleiter Dr. Christian Aegerter, zu dessen Amt das Stadtarchiv gehört. Dieser dankte der Familie Nierade herzlich für ihre Schenkung, mit der die Unterlagen der Nachwelt langfristig gesichert werden.
Der Nachlass besteht aus schriftlichen Aufzeichnungen zur beruflichen Tätigkeit Kunz Nierades sowie aus rund tausend Plänen und Entwürfen zu verschiedenen Bauprojekten, Materialsammlungen, Fotos, Diapositiven, künstlerischen Studien und Zeichnungen. Zeitlich erstreckt er sich von 1923 bis 1976. Für die Leipziger Architektur- und Stadtgeschichte ist er aus mehreren Gründen von hoher Bedeutung. Zum einen sind kaum Nachlässe von Privatarchitekten in Leipzig überliefert, so dass sich deren Schaffen und das private Bauen allgemein nur sehr schwer nachvollziehen lassen. Hier verspricht der Nachlass weiteren Aufschluss. Zudem stand zwischen 1945 und 1989 das kollektive Planen und Entwerfen im Vordergrund, so dass der Einzelne hinter der Gesamtleistung zurücktrat und in der Öffentlichkeit nur das Gesamtergebnis wahrgenommen wurde.
Zur Biographie Kunz Nierades
Kunz Nierade wurde am 7. November 1901 in Wohlau/Schlesien geboren. Seine Kindheit verbrachte er in Waldenburg/Schlesien. Nach dem Besuch des Humanistischen Gymnasiums im schlesischen Waldenburg und einer Maurerlehre studierte er an der Staatlichen Gewerbeakademie Chemnitz. Ab 1931 bekleidete er eine Stelle im Hochbauamt der Stadt Leipzig, bevor er dann ab 1933 als freischaffender Architekt wirkte. Sein erster großer Auftrag war die Organisation und Projektierung der vorstädtischen Kleinsiedlung Portitz. Von 1941 bis 1944 wirkte er im von deutschen Truppen besetzten polnischen Gebiet für Behörden und private Auftraggeber. Ende 1944 kehrte er mit seiner Familie nach Leipzig zurück und wurde Einsatzleiter für die bauliche Instandsetzung der luftkriegsgeschädigten Bauten des zivilen Sektors. Die Verantwortung für die Erfassung und Projektierung der zerstörten Gebäude behielt er bis 1947.
In den ersten Nachkriegsjahren übernahm Nierade vor allem kleinere Projekte. Auch beteiligte er sich erfolgreich an vielen Wettbewerben. So erhielt sein Entwurf für die Gestaltung der Grabstätte Johann Sebastian Bachs in der Thomaskirche 1948 den ersten Preis und wurde zwei Jahre später realisiert. 1950 wurde er in die von Hanns Hopp (1890-1970) geleitete Meisterwerkstatt II des Instituts für Städtebau und Hochbau in Berlin aufgenommen. Gemeinsam mit Hopp beteiligte er sich am Wettbewerb für die Deutsche Hochschule für Körperkultur und Sport (DHfK) in Leipzig. Beide gewannen den ersten Preis, und die DHfK wurde unter ihrer Leitung in mehreren Bauabschnitten bis 1958 realisiert, wobei Kunz Nierade ab 1954 die Arbeiten vor Ort leitete und überwachte.
1954 erhielten er und der Theaterbauspezialist Kurt Hemmerling (1898-1978) den Auftrag zur Erarbeitung eines Vorprojekts für die Leipziger Oper, das in überarbeiteter Form zwischen 1956 und 1960 umgesetzt wurde. Am 8. Oktober 1960 wurde die Oper als erster Theaterneubau der DDR mit einem Festakt eingeweiht und am 9. Oktober mit der Aufführung von Richard Wagners Meistersingern eröffnet.
1960 zog Kunz Nierade nach Berlin. Zu seinen Berliner Projekten gehörte das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten am damaligen Marx-Engels-Platz und der Umbau der Komischen Oper 1964 bis 1966. Für den Aufbau des Potsdamer Stadtzentrums übernahm er 1967 die städtebauliche und architektonische Beratung des Oberbürgermeisters. Am 2. Dezember 1976 verstarb er. ?Der Nachlass macht es möglich, Kunz Nierade konkrete Entwürfe zuzuschreiben sowie Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten festzustellen. Da zu einigen Projekten verschiedene Skizzen und Entwürfe vorhanden sind, können die Entstehungsstufen bis zum Endergebnis nachvollzogen werden. Dies ist bei den kommunalen Bauprojekten oftmals nicht möglich, da häufig nur die realisierten Entwürfe überliefert sind. Die im Nachlass befindlichen Unterlagen zur DHfK und zur Leipziger Oper ergänzen die kommunale Überlieferung, die zum großen Teil auf dem Schriftverkehr zwischen den zentralen Behörden und Einrichtungen und den Abteilungen der Stadtverwaltung beruht. Auf der anderen Seite dokumentieren sie die architektonische Leistung Kunz Nierades.
Die Unterlagen sind grob vorsortiert und werden nun vom Stadtarchiv erschlossen, wobei jedes einzelne Stück mit seinen Merkmalen in eine Datenbank aufgenommen und beschrieben wird. Parallel dazu erfolgen Recherchen zur Biografie und zum Werk. Die Ergebnisse werden in einem Findbuch zusammengestellt, das nach Abschluss der Arbeiten im Lesesaal einsehbar sein wird. Der Nachlass wird somit öffentlich zugänglich und für Interessierte und Wissenschaftler gleichermaßen nutzbar.
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