Grußwort von Oberbürgermeister Burkhard Jung zum 40. Jahrestag der Sprengung der Universitätskirche St. Pauli (30.5.2008, 20.00, Leipzig, Thomaskirche)
GESPROCHENE WORT!
Sehr geehrter Herr Bundesminister, lieber Wolfgang,
sehr geehrte Frau Staatsministerin, liebe Eva-Maria,
Magnifizenz, sehr geehrter Herr Rektor,
lieber Herr Pfarrer Wolff,
einen herzlichen Dank, dass Sie Ihre wunderschöne Kirche für diesen wichtigen Anlass zur Verfügung gestellt haben,
meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Zerstörung der Universitätskirche St. Pauli am 30. Mai 1968 ist wie kein zweites Ereignis jener Jahre in das Gedächtnis der Leipziger eingebrannt.
Denn: Die Sprengung der Universitätskirche war mehr als die Beseitigung eines Jahrhunderte alten ehrwürdigen Gebäudes. Es war mehr als ein destruktiver Eingriff in das Erscheinungsbild unserer Stadt. Es war vor allem ein politisches Signal an alle, die sich nicht verbiegen lassen wollten, an alle, die eine eigene Vorstellung von der Entwicklung ihrer Stadt und der Freiheit ihrer Bürger hatten.
Das Datum des 30. Mai 1968 steht damit für eine Machtdemonstration aller erster Güte, in der sich der realsozialistische Staat zum Zuchtmeister seiner Bürger aufschwang. Viele Zeitgenossen wussten, was sich ereignete. Aber niemand durfte es aussprechen. Als man in den Tagen danach einen ersten Blick auf den Ort des Geschehens richten konnte, war festzustellen, dass die Bodenplatten in der Innenstadt dem Explosionsdruck nicht standgehalten hatten. Wie eine anonyme Anklage waren sie himmelwärts gerichtet. Hier war symbolisch etwas aufgebrochen, das sich Jahrzehnte später nach der Friedlichen Revolution zu Wort melden sollte.
Nur ganz wenige haben damals ihre Stimme erhoben. Sie mussten es im Verborgenen, aus dem Dunkeln heraus tun und einige haben dafür einen hohen Preis gezahlt. Es ist mir daher an dieser Stelle ein besonderes Anliegen, diesen widerständigen Menschen und einige befinden sich heute unter uns Anerkennung zu zollen. Ihr Mut und ihre Unbeugsamkeit sind in die Annalen unserer Stadt eingeschrieben! Eine Ausstellung im Neuen Rathaus erinnert aktuell an diese Menschen und die Ereignisse des Jahres 1968.
Zu loben sind aber auch die Menschen der Kirchengemeinde, die das heute noch Vorhandene der Universitätskirche vor der Vernichtung bewahrt haben: die Epitaphien, die Kanzel und den Altar in der Thomaskirche. Sie haben es getan im Vertrauen und im Vorgriff auf Zeiten, in denen diese "Dinge" ihren gesellschaftlichen Wert und ihre angemessenen Ort wiedergewinnen sollten.
Meine Damen und Herren!
Auch der Rat der Stadt Leipzig hat in jenem Frühling 1968 eine Rolle gespielt - und sie war erbärmlich. Er war reiner Erfüllungsgehilfe von Entscheidungen, die anderen Ortes längst gefällt waren. Am 7. Mai 1968 beschloss das Politbüro der SED die städtebaulich Neugestaltung des Karl-Marx-Platzes. Die Paulinerkirche gehörte nicht mehr dazu.
Die Stadtverordnetenversammlung hatte nun die traurige Aufgabe zu erfüllen, diesem Beschluss des Politbüros quasi "beizutreten" und der Entscheidung einen demokratischen Anschein zu geben. Dies tat sie mit einer Akklamation vom 23. Mai 1968. Mit Demokratie hatte dies nichts zu tun. Es war die Simulation eines Bürgerwillens, der gar nicht gefragt war.
Die heutigen demokratischen Vertreter der Leipziger Bürgerschaft werden sich, wie am 21. Mai 2008 angekündigt, ausdrücklich von dieser Pseudoentscheidung distanzieren. Und wir wollen zudem, ich zitiere aus dem geplanten Beschluss, "Bestrebungen unterstützen, die der Restaurierung, der Sicherung und dem Erhalt der kunsthistorisch bedeutsamen Objekte dienen, die vor der Sprengung der Universitätskirche geborgen werden konnten und (...) bei der Suche nach bisher verschollenen Stücken von historischer Bedeutung behilflich sein."
Wie immer man die Legitimität des damaligen Beschlusses einschätzt: Uns war es wichtig, eine klare Stellungnahme zu diesem Kapitel unserer Stadtgeschichte abzugeben.
Denn, meine Damen und Herren,
hier ging es ja nicht nur um eine stadtplanerische Entscheidung. Hier artikulierte sich eine politische Ordnung, die nichts um den Bürgerwillen gab, die ihn mit Füßen trat. Eine zeitliche Parallele scheint im Rückblick nicht zufällig. In diesen Tagen des Mai begannen die ersten Planungen zur Niederschlagung des Prager Frühlings. Beide Ereignisse, der Einmarsch in die CSSR und die Sprengung der Paulinerkirche, weisen über den Tag hinaus. Sie belegen die Gewalt und die Ohnmacht eines politischen Regimes, das nichts mehr fürchtete als den mündigen Bürger.
Meine Damen und Herren!
Der Zerstörung der Paulinerkirche folgte das Schweigen. Bis zum Ende der DDR durfte an keinem Ort öffentlich über die Ereignisse gesprochen oder geschrieben werden. Und noch heute stehen wir sinnbildlich in der Trümmerlandschaft der Ereignisse, die vor 40 Jahren stattfanden.
Seit dem Zerstörungsakt sucht die zweitälteste Universität Deutschlands, die Alma Mater Lipsiensis, einen Ort, der den Stellenwert der Paulinerkirche übernehmen könnte: eine Stätte für Diskussion, Beratung, öffentlichen Meinungsaustausch, aber auch für Besinnung, Ruhe, Konzentration. Auch die sehr intensiven und leidenschaftlichen Diskussionen, in welcher architektonischen Sprache an die Universitätskirche zu erinnern ist, haben diese Suche noch nicht beendet.
Nicht wenige fragen weiter danach. Ich persönlich stehe ohne Wenn und Aber hinter dem kühnen Entwurf, der nun verwirklicht wird. Und jeder Blick auf das bisher Geschaffene verdeutlicht: Hier wird tatsächlich in einer Weise an das alte Gotteshaus erinnert, die ihresgleichen sucht.
Dennoch: Auch der heutige Tag hat uns allen gezeigt: Die Wunden dessen, was vor 40 Jahren geschah, sind noch nicht vernarbt. Noch immer gibt es offene Fragen, noch immer wiederstreitende Interessen.
Aber gerade weil dies so ist, bin ich der Meinung: Dieser 30. Mai 2008 sollte auch das Datum sein, an dem die Kriegsbeile begraben werden. In einem offenen Gespräch aller Beteiligten sollte es möglich sein, im Interesse unserer Universität und unserer Stadt die noch offenen Fragen - etwa des Altars und der Kanzel - einer einvernehmlichen Lösung zuzuführen.
Denn, meine Damen und Herren,
seien wir ehrlich: Niemand von uns kann sagen, wie das neue geistige Zentrum unserer Universität von den Menschen angenommen wird. Wir können schlicht nicht wissen - und keine architektonische Lösung gibt uns hier letzte Gewähr -, welche geistige und geistliche Atmosphäre an diesem Ort Raum greifen wird. Seine Vielgestaltigkeit als Aula, Andachts-, Versammlungsraum, als Ort von Debatte und Diskussion wird eine ganz eigene Atmosphäre entfalten.
Aus Reflexion und Spiritualität, aus kritischer Unruhe und geistlicher Besinnung wird sich ein Stimmungsbild ergeben, das uns alle in seinen Bann ziehen wird. Zumindest ist dies mein großer Wunsch - und meine feste Überzeugung.
Ich jedenfalls werde mich für eine solche Lösung stark machen. Ich wünsche mir und bin guter Dinge, dass dies gelingt viele Mitstreiter für diese Aufgabe. So dass wir 2018 vielleicht sagen können: Das neue geistige Zentrum unserer Universität ist ein Ort, an dem Zuversicht in die Menschen und Vertrauen in Gott ungezwungen zueinander gefunden haben.
Herzlichen Dank!text
Hinweis: Mit dem Relaunch von leipzig.de 2013 sind Bilder und Verlinkungen dieses Artikels nicht mehr verfügbar.
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