Besuchsprogramme der Stadt Leipzig
Erinnerungsbuch des Besuchsprogrammes ehemaliger jüdischer Leipziger und ihrer Nachfahren © Stadt Leipzig / M. Blum Bilder vergrößert anzeigenEmpfang des Oberbürgermeisters im Rahmen des Besuchsprogramms 2019 im Festsaal des Alten Rathauses © Silvia Hauptmann Bilder vergrößert anzeigenEintragung in das Erinnerungsbuch des Besuchsprogramms der Stadt Leipzig im Rahmen des Oberbürgermeisterempfangs 2019 © Mahmoud Dabdoub Bilder vergrößert anzeigenEintragung ins Erinnerungsbuch des Besuchsprogramms der Stadt Leipzig durch einen Zeitzeugen im Rahmen des Oberbürgermeisterempfangs im Jahr 2019 © Mahmoud Dabdoub Bilder vergrößert anzeigenBesuch auf dem Alten Jüdischen Friedhof mit Teilnehmern des Besuchsprogramms im Jahr 2019 © Silvia Hauptmann Bilder vergrößert anzeigenAbschiedsabend des Besuchsprogramms ehemaliger Leipziger im Hotel Marriott 1998 © Mahmoud Dabdoub Bilder vergrößert anzeigenEmpfang der ehemaligen jüdischen Leipziger beim Oberbürgermeister im Jahr 2009 © Mahmoud Dabdoub Bilder vergrößert anzeigenEmpfang des Oberbürgermeisters im Rahmen des Besuchsprogramms, Gruppenfoto vorm Neuen Rathaus Leipzig mit dem Botschafter des Staates Israel (Mitte) © Mahmoud Dabdoub Bilder vergrößert anzeigenZeitzeugen beim Empfang mit Oberbürgermeister Burkhard Jung im Jahr 2018 © Silvia Hauptmann Bilder vergrößert anzeigen
Leipzig ist eine moderne, dynamische und internationale Stadt mit vielen Visionen für die Zukunft. Gleichzeitig setzt sich die Stadt Leipzig aktiv mit der eigenen Vergangenheit auseinander. Auch die dunkelsten Kapitel der mehr als 1.000-jährigen Stadtgeschichte müssen dabei beleuchtet werden.
Der Name der Stadt Leipzig ist für viele Menschen bis heute mit Leid und Entbehrungen sowie mit Trauer und Schmerz verbunden. Dies gilt insbesondere für die Jahre der Diskriminierung, Verfolgung und Entrechtung durch die Nationalsozialisten von 1933 bis 1945. In dieser Zeit waren es neben vielen anderen Opfern vor allem jüdische Bürgerinnen und Bürger sowie tausendfach eingesetzte Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die in Leipzig qualvolle Erfahrungen durchleben mussten.
Die Stadt Leipzig ist sich ihrer historischen Verantwortung bewusst. Deshalb lädt sie seit 1992 zum "Besuchsprogramm für ehemalige jüdische Leipziger und deren Nachfahren" ein. Zwischen 2001 und 2009 gab es zudem das "Besuchsprogramms für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Leipzig". Beide Besuchsprogramme sollen einen Beitrag zur Versöhnung und gegen das Vergessen leisten. Dabei ist man sich darüber im Klaren, dass dies nur eine symbolische Geste sein kann - eine angemessene Entschädigung für das erfahrene Leid ist nicht möglich.
Channa Gildoni: Leipzigs erste Ehrenbürgerin
Am 12. Oktober 2022 hat der Leipziger Stadtrat einstimmig beschlossen, der 1923 geborenen ehemaligen jüdischen Leipzigerin Channa Gildoni die Ehrenbürgerwürde der Stadt Leipzig zu verleihen. Channa Gildoni hat sich mit großem Engagement und als Brückenbauerin um Leipzig und die Beziehungen zu Israel verdient gemacht. Als Vorsitzende des Verbands ehemaliger Leipziger in Israel hat sie großen Anteil am Erfolg des seit 1992 bestehenden Besuchsprogramms für ehemalige jüdische Leipziger und deren Nachfahren, an dem sie selbst regelmäßig teilgenommen hat. Auch die Entstehung der Leipziger Städtepartnerschaft mit dem israelischen Herzliya ist eng mit Channa Gildoni verbunden. Channa Gildoni erhält diese höchste Bürgerehre der Stadt Leipzig auch stellvertretend für alle jüdischen Leipzigerinnen und Leipziger, den während des Nationalsozialismus die Bürgerrechte aberkannt wurden, die Diskriminierung, Verfolgung und Verschleppung in die Konzentrationslager erleben mussten und letztlich sogar ermordet wurden. Oberbürgermeister Burkhard Jung überreichte ihr die Ehrung im Oktober 2022 in Tel Aviv.
Channa Gildoni verstarb im Mai 2023 in Israel.
Besuchsprogramm für ehemalige jüdische Leipziger und deren Nachfahren
Hintergrund
Die Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig, die 1847 gegründet wurde, war in den 1920er Jahren die sechstgrößte jüdische Gemeinde in Deutschland. Bedeutende Wissenschaftler, Künstler und Unternehmer gehörten ihr an und bereicherten durch ihr soziales und kulturelles Engagement das gesellschaftliche Leben Leipzigs. Infolge der antisemitischen und rassistischen Politik der Nationalsozialisten wurde die Gemeinde durch Flucht ins Exil, Vertreibung oder Tod in den Konzentrationslagern fast vollständig ausgelöscht. Nur wenige Leipziger Jüdinnen und Juden kehrten in die Stadt zurück.
Seit 1990 kam es vermehrt zu Anfragen ehemaliger Leipziger, welche die frühere Heimat besuchen wollten. Im Jahr 1992 begann die Stadt Leipzig dieser Bitte mit dem "Besuchsprogramm für ehemalige jüdische Leipziger" nachzukommen. Ein erster Besuch ehemaliger Leipzigerinnen und Leipziger erfolgte im November 1992 durch eine kleine Gruppe aus Israel, wo es seit 1953 den "Verband ehemaliger Leipziger in Israel" gibt. Um den mehreren hundert Anfragen mit der Bitte um Einladung nachzukommen, lud die Stadt Leipzig seit 1992 ein- bis zweimal jährlich eine Gruppe ehemaliger Bürgerinnen und Bürger ein. Heute findet das Besuchsprogramm jeden Sommer statt und ist in die alle zwei Jahre stattfindende Jüdische Woche in Leipzig eingebettet.
Damit das Besuchsprogramm auf Grund der geringer werdenden Zahl an Zeitzeugen nicht ausläuft, wurde es ab 2009 für die Kinder und Enkel der ehemaligen jüdischen Leipzigerinnen und Leipziger geöffnet. Auf diese Weise wird den Nachfahren die Möglichkeit gegeben, in Kontakt mit Leipzig zu bleiben - dem Ort, an dem so wunderbare wie furchtbare Erinnerungen ihrer Familienhistorie hängen. Bis heute besuchten mehr als 1.200 Gäste aus über 20 Ländern die Stadt. Aufgrund des großen Interesses am Besuchsprogramm können Einladungen leider erst nach einer mehrjährigen Wartezeit realisiert werden. Interessierte am Besuchsprogramm können sich gern beim Referat Internationale Zusammenarbeit melden, welches für die Organisation und Durchführung des Besuchsprogramms zuständig ist.
Ablauf
Das Besuchsprogramm beinhaltet einen offiziellen Empfang durch den Oberbürgermeister im Rathaus sowie verschiedene Begegnungen mit Vertretern der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig und Vertretern zahlreicher zivilgesellschaftlicher Vereine, Organisationen und Institutionen.
Teil des Besuchsprogramms sind stets ein Besuch der Jüdischen Gemeinde und das Feiern des Shabbat Gottesdienstes in der Synagoge in der Keilstraße. Auch ein Besuch des jüdischen Kultur- und Begegnungszentrum Ariowitsch-Haus e. V. sowie des Alten und des des Neuen Israelitischen Friedhofs sind feste Bestandteile des Programms. Bei einer Stadtrundfahrt können das historische und das gegenwärtige Leipzig entdeckt werden. Hierzu zählen insbesondere das Waldstraßenviertel als Stätte frühen jüdischen Lebens und die Gedenkstätte für die Große Gemeindesynagoge (der Tempel) in der Gottschedstraße.
Auch kulturelle Angebote wie Konzertbesuche gehören zum Programm. Außerdem finden generationsübergreifende Projekttage mit Zeitzeugen oder deren Nachkommen an Schulen statt. Umrahmt wird der Besuch der ehemaligen Leipziger mit einem Willkommens- und einem Abschiedsabend.
Alle zwei Jahre ist das Besuchsprogramm eingebettet in die zeitgleich stattfindende "Jüdische Woche Leipzig". Unter dem Motto "Schalom" zeigen Lesungen, Konzerte, Ausstellungen, Vorträge, Rundgänge und viel andere Veranstaltungen Facetten und Geschichten jüdischen Lebens in der Vergangenheit und Gegenwart. Veranstalter sind das Kulturamt der Stadt Leipzig, die Israelitische Religionsgemeinde zu Leipzig und die Ephraim-Carlebach-Stiftung.
Stolpersteine
Zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus begann der Künstler Gunter Demnig im Jahr 1992 mit der Verlegung sogenannter Stolpersteine. Mittlerweile gibt es mehr als 75.000 Stolpersteine in zahlreichen Ländern in ganz Europa. Seit April 2006 erinnern auch in Leipzig Stolpersteine an verschiedenen Orten an ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt, die von den Nationalsozialisten auf Grund ihrer Herkunft, Religion, sexuellen Orientierung, Lebensweise oder politischen Gesinnung verfolgt oder deportiert wurden und schließlich zu Tode gekommen sind.
Stolpersteine haben eine Größe von 10x10x10 Zentimetern. Sie werden in die Gehwege vor den ehemaligen Wohnhäusern der Deportierten eingelassen. Auf der Oberseite des Steins befindet sich eine Messingtafel mit den Worten "Hier wohnte". Es folgen darunter der Name, das Geburtsjahr und das Schicksal der betreffenden Person. Seit der ersten Verlegung in Leipzig kommen jedes Jahr neue Steine in ein bis zwei Verlegungen hinzu. Es wurden bereits mehrere Hundert Stolpersteine an gut 200 Orten in Leipzig verlegt.
Die Verlegung von Stolpersteinen ist nur dank der Hilfe vieler Menschen möglich, die Paten für einen Stolperstein werden. Dazu gehören unter anderem Privatpersonen und Schulklassen sowie Vereine, Stiftungen und Parteien. In Leipzig wird das Projekt von einer Arbeitsgruppe koordiniert, der verschiedene Vereine, Jugendverbände, Museen und Privatpersonen angehören. Das Referat Internationale Zusammenarbeit beteiligt sich an der Arbeitsgruppe und auch der Leipziger Stadtrat unterstützt das Gedenken durch Stolpersteine.
Besuchsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Leipzig
Der Einsatz von Zwangsarbeitern war im Deutschen Reich während des 2. Weltkriegs eine gängige Praxis zur Sicherung der Produktion von Waffen und Munition, aber auch zur Aufrechterhaltung des alltäglichen Lebens. Im gesamten Stadtgebiet von Leipzig waren zeitweise fast 100.000 Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge eingesetzt. Anders als die Verfolgung der Jüdinnen und Juden wurde das Thema Zwangsarbeit in Deutschland lange nicht thematisiert und bekam erst in den späten 1990er Jahren eine größere wissenschaftliche und öffentliche Aufmerksamkeit.
Als Beitrag zur städtischen Aufarbeitung von Zwangsarbeit in Leipzig beschloss der Stadtrat im Jahr 2000 die Etablierung des "Besuchsprogramms für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Leipzig". Dieses sollte dazu dienen, das zugefügte Leid anzuerkennen und gebührend zu würdigen. Darüber hinaus sollte es aber auch die heutige Verantwortung für dieses Kapitel der deutschen Geschichte verdeutlichen und damit zur Versöhnung beitragen.
Vom 8. bis zum 14. Dezember 2001 besuchte eine erste Gruppe ehemals in Leipzig eingesetzter Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter die Stadt Leipzig. Der Zeitpunkt wurde bewusst gewählt, da am 12. Dezember 2001 auf dem Gelände eines der größten Rüstungsbetriebe, der "Hugo Schneider AG (HASAG)", die erste deutsche Gedenkstätte für ehemalige Zwangsarbeiter eingeweiht wurde. Bis heute ist die "Gedenkstätte Zwangsarbeit in Leipzig" ein wichtiger Ort zur Erinnerung an die Opfer der Zwangsarbeit, zur Erforschung noch unbeleuchteter Aspekte des Themas sowie zum Sammeln historischer Zeugnisse von Zwangsarbeit.
Das Besuchsprogramm für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beinhaltete immer einen Empfang durch den Oberbürgermeister mit einer Eintragung der Gäste in das Goldene Buch der Stadt Leipzig. Auch eine Stadtrundfahrt, der Besuch von Kulturveranstaltungen und eine Besichtigung der Gedenkstätte waren feste Bestandteile des Programms. Vor allem der Besuch des ehemaligen Einsatzortes war ein für alle emotional sehr berührender Moment und mit bedrückenden Erinnerungen verbunden.
Insgesamt nahmen fast 100 ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Russland, der Ukraine, Polen, Tschechien, Slowenien und Frankreich am jährlich stattfinden Besuchsprogramm teil. Damit waren alle bis dahin bekannten und noch reisefähigen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter Gäste der Stadt Leipzig.
Da keine ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mehr ermittelt werden konnten, gab es seit 2010 nur noch Einzelbesuche (vor allem im Rahmen von Gedenkveranstaltungen), die das Referat Internationale Zusammenarbeit gemeinsam mit der Gedenkstätte für Zwangsarbeit betreute. Dazu zählen auch Besuche von Nachfahren ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Leipzig (zum Beispiel im Jahre 2015 aus den Niederlanden).