Richter, Evelyn - Leipziger Frauenporträts
Evelyn Richter © Archiv der HGB LeipzigBilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Kunst
- Fotografie
geboren/ gestorben
31. Januar 1930 (Bautzen) – 10. Oktober 2021 (Dresden)
Zitat
„Evelyn Richter kämpfte nicht nur um künstlerische Freiheit als Fotografin. Sie beanspruchte auch Mitmenschlichkeit, Wahrhaftigkeit, offenes Denken in jeglicher Richtung. Damit stieß sie an, provozierte Widerstand der politischen Instanzen in der DDR und setzte sich oftmals dennoch durch.“
(Andreas Krase. Deutsche Gesellschaft für Photographie e.V., Oktober 2021)
Kurzporträt
Evelyn Richter war die erste Fotografin, die als Dozentin an die Hochschule für Grafik und Buchkunst berufen wurde. Neben herausragenden Fotoreportagen hinterließ sie als Autorenfotografin ein reiches Werk, darunter authentische Arbeiterinnenporträts, aber auch Bücher über David Oistrach und Paul Dessau sowie das eine ganze Elterngeneration prägende „Entwicklungswunder Mensch“. Sie trug wesentlich zur internationalen Bekanntheit ostdeutscher Fotografie bei.
Herkunftsfamilie
- Mutter: Irma Richter (1905-?), Hausfrau
- Vater: Erich Richter (1900-1964), Inhaber/Betriebsleiter eines Sägewerkes
- Bruder: Gottfried Richter, geboren 1927
- Bruder: Peter Richter, geboren 1943
Biografie
Ihre Kindheit und Jugend verbrachte Evelyn Richter in Neukirch/Lausitz. Während der Schulzeit besuchte sie 1940-1942 ein Internat in Kleinwelka, bevor sie an der Oberschule in Bautzen ihren Schulabschluss machte. Ihr kulturell aufgeschlossenes Elternhaus prägte auch ihre Liebe zur Kunst und klassischen Musik. 1948-1951 absolvierte sie eine Lehre als Fotografin bei Pan und Christine Walther in Dresden, ergänzt durch Konsultationen bei Franz Fiedler. 1951-1952 arbeitete sie als Fotolaborantin bei den Vereinigten Werkstätten Dresden und 1952-1953 als Fotografin am Institut für technische Mechanik an der TU Dresden. In einer selbstinszenierten Fotografie von 1952 wird ihre Kenntnis der Tradition der Moderne deutlich.
1953-55 folgte das Studium der Fotografik bei Johannes Widmann an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Auf Grund ihrer Vorkenntnisse wurde sie direkt ins 2. Studienjahr immatrikuliert. Porträt- und Sachaufnahmen aus jener Zeit weisen sie bereits als sensible, technisch präzise arbeitende Fotografin aus. Zum Studium gehörte auch die Vermittlung buchgestalterischer Grundsätze. In ihrer Studienzeit entstanden lebenslange Freundschaften, unter anderem mit Ursula Arnold und Walter Schiller. 1955 bat sie aus wirtschaftlichen Gründen um Freistellung, die in die Exmatrikulation mündete. Ab 1956 gehörte sie dem Verband der Journalisten an, wodurch ihre freiberufliche Arbeit für Zeitschriften und die Messe möglich wurde. Als Mitglied der Gruppe „action fotografie“ 1956/57, darin auch Helga Wallmüller, Renate Rössing und andere, engagierte sie sich für die künstlerische Rezeption der fotografischen Avantgarde der Vorkriegszeit. Neben den Aufträgen für Fotoreportagen entwickelte sie kontinuierlich ihr eigenes fotografisches OEuvre. Eine Schlüsselrolle für die spätere Nutzung der Kleinbildkamera, mit der sie situativ reagieren konnte, spielte 1957 eine Reise nach Moskau. In ihrem Schaffen kristallisierten sich seit den späten 1950er-Jahren verschiedene Themenkomplexe heraus, z.B. „Arbeiterinnen“ oder „unterwegs“ mit Reisenden. Einfühlsam und respektvoll begegnete sie dabei ihrem Gegenüber. In den 1960er/1970er-Jahren begleitete sie Theaterinszenierungen und Konzerte mit der Kamera. Durch ihr gesamtes Schaffen zog sich das Interesse an Menschen in Kunstausstellungen und das Porträtieren von Künstlerinnen und Künstlern aller Genres.
Soweit es möglich war, nahm sie bei der Veröffentlichung ihrer Fotografien Einfluss auf die Gestaltung der Seiten. Zu den besten Arbeiten gehören ihre beiden Fotobücher, die David Oistrach und Paul Dessau gewidmet sind und denen ihre jahrelange Begleitung der Musiker vorausging. In wertschätzender Zusammenarbeit mit dem Typografen Walter Schiller ordnete sie mit der Kamera eingefangene Momente aus Konzerten und Proben Oistrachs in Sequenzen von bis zu 16 Bildern je Doppelseite. So entstand ein zuweilen filmisch anmutendes Porträt. Indem sie dem aufgeklappten Geigenkasten mit dem Instrument eine eigene Doppelseite widmete, erweiterte sie die Möglichkeiten des Porträtierens über die unmittelbare Abbildung des Menschen hin zu den durch ihn aufgeladenen Dingen. Ihre vielfältigen Porträts von Musikerinnen und Musikern fanden ihre Anwendung auf Schallplattencovern für das Musiklabel Eterna. Eine ganz besondere Wirkung entfaltete das zwischen 1980 und 1989 in vier Auflagen erschienene Buch „Entwicklungswunder Mensch“, für das Hans-Dieter Schmidt den Text verfasste und Evelyn Richter als Bildredakteurin verantwortlich war. Neben eigenen Aufnahmen band sie Bilder anderer Fotografinnen und Fotografen ein und erreichte so eine multiperspektivische Ebene, die neben dem Text eine eigene visuelle Erzählung ergab.
1981 ging sie als Oberassistentin zurück an die HGB, wo ihr 1983 extern das Diplom verliehen wurde. 1985 wurde sie Dozentin und bis 1990 Leiterin einer Fachklasse für Fotografie. Sie prägte eine ganze Generation von Studierenden, zu denen u.a. Christiane Eisler, Grzegorz Fudala, Markus Hawlik, Bertram Kober und Werner Lieberknecht gehörten, und ermutigte sie, sich gesellschaftlichen Randthemen wie Krankheit, Alter und Ausgrenzung zu widmen. Mit der Präsentation ihrer Fotografien 1987 auf dem Fotofestival in Arles/Frankreich wurde sie auch international bekannter. 1990/91 erhielt sie einen Lehrauftrag an der FHS Bielefeld, 1992 wurde sie Ehrenprofessorin der HGB und nahm dort bis 2001 diverse Lehraufträge wahr. Für ihre Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Sie erhielt u.a. 1975 die Ehrennadel der Fotografie in Gold, Kulturbund der DDR, 1989 den Kunstpreis der DDR, 1992 den Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie. 1997 war sie Stipendiatin der Villa Massimo/Rom. 2013 ernannte sie die Sächsische Akademie der Künste zum Ehrenmitglied. 2020 wurde ihr der Bernd und Hilla Becher-Preis in Düsseldorf verliehen.
Ihre letzten Lebensjahre waren von schwerer Krankheit gezeichnet. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof in Neukirch/Lausitz. Ein Großteil ihres künstlerischen OEuvres wurde bereits 2009 durch die Ostdeutsche Sparkassenstiftung von der Künstlerin erworben und befindet sich im Evelyn Richter und Ursula Arnold Archiv des MdbK Leipzig. Weitere Arbeiten sind unter anderem in der Berlinischen Galerie sowie im Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus zu finden.
Werke
- 1957 Kinder vor der Kamera. In: Foto Falter. Monatsblätter für Freunde der Fotografie, 1,1957, Seite 4-5
- 1959 Fotografien für Serbske narodne drasty / Sorbische Volkstrachten, Bd. 3: Die Tracht der Sorben um Hoyerswerda, Domowina Verlag, Bautzen, 1959
- 1969 Fotografien für: Gisela Karan: Mädchen. In: Sybille 6, 1969, Seite16-21
- 1973 David Oistrach. Ein Arbeitsporträt, Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1973.(Goldmedaille im Wettbewerb um die schönsten Bücher der Welt)
- 1975 Paul Dessau. Aus Gesprächen, VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1975
- 1978 Maßstab Palucca. In: Für Dich, Heft 29, 1978
- 1977 3 Fotografien zur Sprengung der Universitätskirche ; Thomaner: Freitag 18 Uhr Motette. In: Merian Leipzig, Heft 9, 1977
- 1977 Mit einem Bein auf dem Boden der Wirklichkeit. In: Sybille, Heft 5, 1977 Seite 62-65
- 1980 mit Hans-Dieter Schmidt: Entwicklungswunder Mensch. Urania Verlag Leipzig. 1980
- 1990 Dr. med. Karin Brachmann. Chirurgin. In: Leipziger Blätter, Heft 17, 1990, Seite 79-83
Adressen in Leipzig
- 1953-1954 An der Märchenwiese
- 1954-1955 Schreberstraße 1
- 1955-1962 Käthe-Kollwitz-Straße 51 b
- ab 1962 Georgiring 9
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- 1984 Kunstpreis der Stadt Leipzig
- 1993 Ausstellung: Evelyn Richter - Zwischenbilanz - 1950-1989, Galerie der HGB
- 2013 Ausstellung: Evelyn Richter. Fotobuch, Ausstellung, Museum der bildenden Künste (MdbK) Leipzig
- 2016 Ausstellung: Gehaltene Zeit. Ursula Arnold, Arno Fisher, Evelyn Richter. MdbK Leipzig
- 2016 Ausstellung: Die Lehre. Arno Fischer, Evelyn Richter. Kunsthalle der Sparkasse Leipzig
- 2023/2024 Ausstellung: Evelyn Richter. Ein Fotografinnenleben. Ausstellung im MdbK Leipzig
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Evelyn Richter. In: Sybille Heft 2, 1975, Seite 68-71
- Frank, Volker: Fotografie als soziale und bildnerische Entscheidung. Zum Schaffen der Leipziger Fotografin Evelyn Richter. In: Bildende Kunst H. 4, 1984, Seite 170-172
- Evelyn Richter. Zwischenbilanz. Photographien aus den Jahren 1950-1989. Ausst.kat., Staatl. Galerie Moritzburg, Halle 1992
- Guth, Peter: Die soziale Haut der Zeitgeschichte. Fotografien von Evelyn Richter. In: Neue bildende Kunst, Heft 2, 1993, Seite 37-41
- Ihle, Astrid (Hrsg.): Stillgehaltene Zeit. Ausst.kat., Leica Gallery New York/Goethe Institut Washington, Heidelberg 2002
- Schmidt, Hans-Werner (Herausgeber): Evelyn Richter. Rückblick, Konzepte, Fragmente., Ausst.kat., MdbK, Leipzig, Bielefeld, 2005
- Stoschek, Jeanette: „action fotografie“. Ein kurzer Aufbruch. In: 60/40/20. Kunst in Leipzig seit 1949, Ausst.kat., MdbK, Kunsthalle der Sparkasse Leipzig, 2009, Seite 88-94
- Knorr, Susanne; Schierz, Kai-Uwe: Die andere Leipziger Schule. Ausst.kat, Kunsthalle Erfurt, Kerber Verlag, Bielefeld 2009
- Stoschek, Jeanette, Werner, Patricia (Herausgeberinnen): Gehaltene Zeit., Ausst.kat., MdbK, Kunsthalle der Sparkasse Leipzig, Verlag Kettler, Dortmund 2016
- Von der Latenz der Bilder. Evelyn Richter, publish&print, Dresden 2018
- Conze, Linda; Stoschek, Jeannette (Herausgeberinnen): Evelyn Richter. Spector Books, Leipzig 2022
Autorin: Julia Blume (2023)