Rössing, Renate (geborene Winkler) - Leipziger Frauenporträts
Renate Rössing bei der Arbeit, 1950 © Deutsche Fotothek Bilder vergrößert anzeigen
Rubrik
- Fotografie
geboren/ gestorben
15. April 1929 (Dresden) - 11. Juli 2005 (Leipzig)
Zitat
"Die Kamera ist mein Leben. Aber mein Leben gehört nicht vor die Kamera!"
Kurzporträt
Renate Rössing gehört zu den bedeutendsten ostdeutschen Reportage- und Landschaftsfotografinnen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die gemeinsam mit ihrem Mann Roger Rössing erarbeiteten Aufnahmen über den Wiederaufbau der während des Zweiten Weltkriegs zerstörten Städte Dresden und Leipzig sowie visuelle Schnappschüsse aus Ländern Europas, Asiens und Afrikas sind bedeutsame Dokumente über Menschen und ihre Umwelt.
Herkunftsfamilie
- Vater: Willy Winkler (1900-1934)
- Mutter: Margarete Winkler, geborene Schieschke (1903-1945)
Biografie
Renate Rössing war lebenslang eine Suchende und hasste nichts mehr als Gewalt und Krieg. Sie, die während des Bombenangriffs auf Dresden am 13. Februar 1945 ihre Mutter verloren hatte, war mehrere Tage verschüttet gewesen, ehe sie gerettet wurde. Zeitlebens erinnerten sie die vom Phosphor hinterlassenen Narben an ihrem Körper an die Bombardements. Mit einer einfachen Kamera hielt die Abiturientin das fest, was von Elbflorenz übriggeblieben war.
Als sie sich an der Filmhochschule Potsdam als Dokumentarfilmerin bewarb, war die Klasse bereits voll. Deshalb begann sie, an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst zu studieren. Ihr Lehrer Johannes Widmann bat ihren in Leipzig geborenen und in Dresden aufgewachsenen Kommilitonen Roger Rössing (1929-2006), sich um das einsame, stille, in-sich-gekehrte Fräulein Winkler zu kümmern. Als Renate wegen "Nichterfüllung der gesellschaftlichen Pflichten" ihr Stipendium verlor, musste sie das Studium abbrechen. Roger war solidarisch und verließ ebenfalls die Hochschule. 1951 heirateten sie. Renate Rössing und ihr Mann wurden zu zwei Poeten und Meistern mit der Kamera, die Menschen und Landschaften empfindsam für die Nachwelt festhielten.
Still, bescheiden, klug, lebendig, voller Neugier und mit Liebe für alles Lebende und die Schönheiten der Natur, fern jeglichem Voyeurismus versuchten sie, Situationen und Momente im Bild widerzuspiegeln. Renate gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Leistungsgruppe "action fotografie leipzig", die ab 1956 gegen die Stagnation in der aktuellen DDR-Fotografie anging, um zu neuen Bild- und Publikationsformen zu gelangen. Hier wirkten auch Helga Wallmüller und Evelyn Richter mit. Außerdem beteiligte sie sich an Akt-Pleinairs. Ihr erster Bildband über Leipzig erschien 1957. Viele andere Bücher folgten. Ende der 80er-Jahre landeten die Rössings und der Texter Wolfgang U. Schütte einen Bestseller mit "Leipzig in Farbe". Sie schufen eine visuelle Bestandsaufnahme der Kultur-, Messe- und Buchstadt mit viel Liebe zum Typischen und Besonderen. Es war die Zeit, als man fragte, ob Leipzig noch zu retten sei? Verfallene Häuser, heruntergekommene Stadtviertel sind auch zu sehen, aber fern jeglicher bewussten Bloßstellung.
Für die Rössings brachte die Wende nochmals eine Menge an Aufgaben. Bildbände über Sachsen, Sachsen-Anhalt, Leipzig und den Harz entstanden. Daneben verwaltete, registrierte Renate Rössing das gemeinsame Fotoarchiv mit weit über 100.000 Negativen und Farbdiapositiven und machte es auswertbar. Außerdem war sie die erste kritische Leserin und Lektorin, wenn Roger in die Welt der Rätsel eintauchte, Gottfried Silbermann porträtierte, sich mit russischem Roulette und schwedischen Gardinen beschäftigte, den wirklich tollen Sachsen ein Denkmal setzte, Blackouts der Weltgeschichte aufschrieb. Gemeinsam stellten beide Roland-Statuen in Deutschland vor.
Wer die Fotobände der Kamerazwillinge daraufhin untersucht, von wem wohl welches Bild stammt, wird nicht fündig werden. Beide haben wohl jeweils die Hälfte an Material zugeliefert. Wobei man sagen muss, dass Renate oft waghalsiger in der Wahl ihrer Standorte gewesen ist. Sie kroch schon mal auf hohen Flachdächern bis zum Rand, um ein tolles Panoramabild zu erhaschen. Außerdem verantwortete sie die Bildzusammenstellung und Platzierung von Bild und Text. So wurden die Rössings deutschlandweit zu einem Qualitätsbegriff. Menschlich, gastfreundlich, liebenswert, bescheiden, dem Neuen gegenüber aufgeschlossen, aber auch durchsetzungsfähig, wenn es um ihnen Wichtiges ging, haben sie gewirkt. Durch diese schöpferische Zusammenarbeit reiften sie zwar, aber sie wurden nicht alt. Geistig vital, wissbegierig und voller Neugier blickte das kinderlose Ehepaar auf das Leben.
Das blieb auch so, als Renate Rössing schwer erkrankte. Als sie im Sommer 2005 starb, brach für ihren Mann eine Welt zusammen. Unerwartet ist er ihr 2006 wenige Tage vor seinem 77. Geburtstag gefolgt. Eine Pyramide an einem Weiher im Schatten der Feierhallen erinnert auf dem Leipziger Südfriedhof an Renate und Roger Rössing.
An die 100 Bücher tragen den Namen beider Rössings. Ihre Arbeiten befinden sich in der Deutschen Fotothek der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden. 1990 wurden beide Ehrenmitglieder der Deutschen Gesellschaft für Photographie Köln. Und die 2008 als Vermächtnis gegründete Rössing-Stiftung vergibt seit 2010 aller zwei Jahre an Textautor/-innen oder Fotokünstler/-innen einen mit 5.000 Euro dotierten Preis zur Förderung der Kunst und des Heimatgedankens in der Region Leipzig.
Adressen in Leipzig
- 1948-2005: Obere Eichstädtstraße 9
Erinnerung/ Gedenken/ Würdigung in Leipzig
- 1988: Kunstpreis der Stadt Leipzig
- seit 2008: Rössing-Stiftung zur Förderung der Kunst und des Heimatgedankens in der Region Leipzig
- von der Rössing-Stiftung geplant: Gedenktafel am Haus Obere Eichstädtstraße 9
Zum Weiterlesen/ Literatur/ Quellen
- Frühe Bilder, Leipzig 1985.
- Messestadt in Farbe, in: fotografie 5/1985.
- Bildende Kunst 10/1989.
- Leipziger Impressionen: Fotografien 1946-1989, Leipzig 2013 (überarbeite Neuauflage von: Menschen in der Stadt. Fotografien 1946-1989, Leipzig 2006).
Autor: Rolf Richter, 2014